Richtig gehört. Nach nur wenigen Monaten wurde ein Insolvenzantrag gegen den vermeintlich innovativen, verpackungsfreien Supermarkt „Liebe & Lose“ eingebracht. Es wäre somit definitiv der falsche Zeitpunkt, um mit Spott und Häme darauf zu reagieren und sich über das (vermutete) unternehmerische Unvermögen der Macher hinter „Liebe & Lose“ lustig zu machen. Es ist aber an der Zeit, einen kleinen (subjektiven) Rückblick zu wagen. Und kurz Bilanz zu ziehen.
Am Anfang war die Idee. Der Zeitpunkt war perfekt. Innsbruck war aufgewacht und trendige Läden eröffneten an allen Ecken und Enden. Was mit dem Trend zum Bio-Burger begann fand seine Fortsetzung in einer Craft-Bier-Welle, die Innsbruck mit den etwas anderen Bieren versorgte. Und das war erst der Anfang.
Ob man den Machern von „Liebe & Lose“ tatsächlich Kalkül und Trend-Reiterei unterstellen kann lässt sich nur schwer überprüfen. Fakt ist, dass sie anfänglich den richtigen Riecher, ein Gespür für den lokalen Markt und für die Bedürfnisse der hiesigen Bevölkerung hatten. Diese war im Trend-Taumel und in Euphorie versetzt, weil plötzlich sogar das „Wiltener Platzl“ so hip und angesagt wie das eine oder andere Viertel in Hamburg oder in Berlin aussah.
Was damals zum Glück noch fehlte war ein verpackungsfreier Supermarkt, wie man ihn aus so mancher deutschen Großstadt kennt. Grundsätzlich ist auch nichts verwerfliches daran, an das neu erwachte und über Nacht plötzlich sehr angesagte Umweltbewusstsein zu appellieren. Die Nachwelt wird es uns danken – ganz egal ob Trend oder nicht.
Jedenfalls konnte niemand die Idee aufhalten, deren Zeit zweifellos gekommen war. Sie ward Fleisch und lebte von einem Tag auf den anderen mitten unter uns. Sie nistete sich in unsere Köpfe ein. Die Vorfreude stieg von Tag zu Tag. Doch die Macher hinter „Liebe & Lose“ ließen uns warten.
Es war jedenfalls der Sommer 2015. Mittels „Crowdfunding“ wurde Geld gesammelt, damit die Idee von nun an nicht nur in unseren Köpfen ein zuhause finden sollte, sondern sich bald an einem realen Ort manifestieren konnte. Berauscht und euphorisiert von der Vorstellung, dass Innsbruck bald einen verpackungsfreien Supermarkt haben würde kam einiges an Geld zusammen. So viel, dass man davon ausgehen konnte, dass sich bald ein Standort fände.
Doch es gab Schwierigkeiten mit dem Standort in der Museumstraße. Es wurde weitergesucht. Nach allen Regeln des Marketings und der PR wurde gemeinsam mit den „Fans“ in den sozialen Netzwerken nach einem anderen Standort gesucht. Fast jeder Schritt von „Liebe & Lose“ wurde zudem medial begleitet, die Wichtigkeit dieses Konzeptes herbei geschrieben und betont. Diese Idee durfte nicht scheitern. Nicht jetzt. Innsbruck war mehr als nur reif für diesen Supermarkt.
Letzten Endes fand der verpackungsfreie Supermarkt in der Markthalle Innsbruck seinen Standort. Fortan musste sich „Liebe & Lose“ nicht an der Idee und den Marketing-Kompetenzen der Macher messen lassen, sondern am beinharten Alltagsgeschäft.
Die Kunden kamen. Nicht alle kamen immer wieder. Es gab erste Enttäuschungen. In Bezug auf die Qualität des Fleisches. In Bezug auf die Bedienung. In Sachen Standort und Positionierung des Marktes im Kontext der Markthalle. An einem Ort, an dem verpackungsfreier Einkauf zum Teil schon möglich war, fiel es sichtlich schwer sich zu unterscheiden und zu positionieren. Die vermeintliche „Andersheit“ des Konzeptes löste sich an diesem Ort zum Teil in Luft auf.
Es ist nicht der Zeitpunkt für Spekulationen. Es wäre vermessen über die tatsächlichen Gründe für die frühzeitige Pleite zu schreiben. Es darf aber die Frage gestellt werden, ob wir es bei „Liebe & Lose“ nicht mit einem sehr zeitgeistigen Phänomen zu tun haben, das stellvertretend für viele andere noch folgende Konzepte und Ideen stehen kann.
Konzepte wie „Liebe & Lose“ passen jedenfalls hervorragend in das aktuelle vorherrschend Zeitalter des Marketings, das Konzepte über Substanz und Ideen über deren Umsetzung stellt. Ist einst die Idee geboren, das Marketing-Konzept fixiert und die mediale Aufmerksamkeit erzeugt, werden pragmatische Fragen der Umsetzbarkeit, des möglichen Tagesgeschäftes und des richtigen Standortes tendenziell vernachlässigt.
Im Moment ist schon wieder eine Social-Media-Kampagne von „Liebe & Lose“ am Start. Ja, man sei hingefallen. Ja, man habe Fehler gemacht. Aber irgendwie sei man doch wie „Air & Style“ und wie die „Schwedenbomben“. Man glaube an die Kraft der Erneuerung. Der Leser dieser Zeilen könnte aufgrund dieser Behauptungen zumindest Unbescheidenheit attestieren. Oder aber auch Respektlosigkeit den Investoren und Unterstützern gegenüber.
Eine Frage ist konkret zu stellen: Was genau war jetzt die Leistung von „Liebe & Lose“ außer innerhalb von ein paar Monaten pleite zu gehen? Möglicherweise die richtige Idee zur richtigen Zeit zu haben und in den Köpfen der Medienmacher und der Konsumenten das dringende Anliegen zu verankern, dass diese Idee und dieses Konzept um jeden Preis unterstützt gehört.
Das ist natürlich an sich schon eine Leistung. Eine Leistung, die sich unter gutes Marketing verbuchen lässt. Sich aber mit etablierten Marken wie „Air & Style“ oder anderen zu vergleichen zeugt auch von einer Form von Realitätsverlust und Überschätzung der eigenen Relevanz.
Ich wünsche „Liebe & Lose“ dennoch alles Gute. Vielleicht aber ein wenig mehr Bescheidenheit. Möglicherweise ein bisschen mehr Realitäts- und weniger Möglichkeitssinn.
Die Zeit wäre nämlich durchaus reif für einen verpackungsfreien Supermarkt. Aber es müssen halt nicht nur die Idee und das Konzept, sondern auch die Substanz und das Niveau bei der tatsächlichen Umsetzung stimmen. Dann klappt es auch mit den Kunden und mit den notwendigen Umsätzen. Dann scheitert eine an sich gute Idee nicht an der harten und schonungslosen Realität.
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Titelbild: (c) Liebe & Lose Facebook
Es wäre toll gewesen, wenn man Liebe & Lose auch befragt hätte. Und nicht nur der TT hinterherschreibt. Es liegt nicht an mir, Hintergründe aufzuzeigen. Aber wenn man schon so schreibt über eine Idee, die noch lange nicht so gescheitert ist wie es klingt, dann wäre eine Stellungsnahme von denen sehr erhellend…
lG, Bernhard
Man konnte bisher leider nur bei der Mobilbox von Liebe & Lose nachfragen. Ein Telefonat hat sich (noch) nicht ergeben. Für einen Kommentar bzw. einen subjektiven Rückblick, der bewusst die Konsumenten- und Außensicht darstellen soll, ist eine solche Stellungnahme zwar eine wunderbare Bereicherung, aber auch nicht zwingend nötig. Abgesehen davon geht die Berichterstattung weiter. Unsere Redaktion ist jedenfalls unter +43 699 194 789 70 erreichbar.
P.S.: Wir haben seriös recherchiert und recherchieren weiter.
Fände ich toll. Danke für euer journalistisches Engagement!
Ich denke, so sehr braucht man da gar nicht den Zeitgeist zu befragen. Das Konzept liegt im Trend (in D und By) zumindest. Ich könnte mir vorstellen, dass das Ganze vielleicht wirtschaftlich nicht so tragfähig angelegt war. Mit crowdfunding zu beginnen, wenn man offensichtlich nur ein Pölsterchen von wenigen Monaten zur Verfügung hat, ist SEHR optimistisch!
makko iaz los gemma oan hebn in dr marktholln galling no amol eini?
auf den punkt gebracht. es war weniger das scheitern, sondern diese an arroganz grenzende selbstdarstellung vor, während und nach start/ scheitern des projektes. und ja: für mich ist es gescheitert, ich glaube nicht, dass ich meine crowdfunding-investiton nochmal in waren eintauschen kann..