Wenn man zufälligerweise etwas von einem wunderschönen Gut in Oberbayern mitbekommt und dann auch noch erfährt, dass dort Kultur und der Musik viel Platz und Raum gegeben wird, dann lohnt es sich ein paar Gedanken über die Bedingungen des Musikmachens und Musikhörens zu machen. Was sind die optimalen Bedingungen? Wo hört man am besten Musik? Braucht es das Naturidyll oder genießt man Musik kluger- und passenderweise in einem kleinen Club mitten in New York? Was hat das „Gut Sonnenhausen“ was andere Orte nicht haben?
Zusammenspiel von Raum und Zeit
Musik ist dem Wesen nach eine Zeitkunst. Der Komponist entscheidet, im besten Fall im Einklang mit der Essenz und der Substanz der Komposition, über die notwendige und erforderliche Dauer eines Stückes. Er kann dabei mit den Rezeptionsgewohnheiten des Zuhörers umgehen. Er kann ihn herausfordern, er kann mit vermeintlicher Leere und Inhaltslosigkeit spielen, welche möglicherweise den anschließenden Kern des Stückes noch besser herausstreicht.
Musik ist dem Wesen nach aber auch eine Raumkunst. Sie entfaltet sich im Raum. Die Akustik eines Raumes ist für diese Entfaltung essentiell. Passt der Rahmen nicht und geht die Musik und deren Klang im Raum unter, dann kommt man der Komposition nicht nahe. Raum und Komposition bilden bestenfalls eine Symbiose. Ein Raum kann einem Stück zur vollen Blüte verhelfen, er kann diese aber auch sabotieren und verunmöglichen.
Nun ist es kein Geheimnis, dass sehr viel zeitgenössische und hochinteressante Musik im urbanen Raum entsteht. Unter dem Druck der Schnelligkeit, Schnelllebigkeit und Komplexität der Umwelt entsteht zum Teil großartige Musik. Die Logik, dass Musik, die im urbanen Raum produziert wurde, auch im urbanen Raum rezipiert werden sollte ist dennoch brüchig und fragwürdig.
Musik ist zugleich ein Spiegelbild ihrer Umgebung als auch ein in sich geschlossenes und autonomes System. Musik regiert auf die Umwelt und auf die jeweilige Umgebung, sie reagiert aber immer auch, womöglich in erster Linie, auf sich selbst. Zuerst werden die musikalischen Möglichkeiten verhandelt. Erst dann erfolgt die Rückbindung auf die „Realität“ und die Frage, wie mit den musikalischen Möglichkeiten die Umwelt und die (urbane) Welt beschrieben und thematisiert werden kann.
Konzertsituationen im städtischen und großstädtischen Bereich gleichen immer wieder einem Elfenbeinturm. Für Minuten oder auch Stunden entflieht man der hektischen Stadt und lässt sich auf die „Raum-Zeit-Kunst“ Musik ein. Musik braucht Zeit.
Es ist fraglich, ob es möglich ist, sich vollständig auf Musik einzulassen, wenn man nur für wenige Augenblicke der Hektik und der sich stetig steigernden Beschleunigung des städtischen Lebens entflieht. Auch wenn Musik ihre Energie und ihre Inspiration aus dieser Geschwindigkeit und Dichte bezieht, ist der bestmögliche Ort nicht zwingend im städtischen Umfeld zu sehen.
Der Grund dafür ist einfach. Wer mitten im Geschehen ist erkennt nicht das volle Bild und das große Ganze. Wir können die Bedingungen von „urbaner Musik“ besser verstehen, wenn wir sie mit Ruhe rezipieren. Wenn wir einen Schritt zurücktreten. Wenn wir uns Zeit nehmen um die oftmals thematisierte Unruhe von Grund auf zu verstehen. Das ist möglicherweise am besten außerhalb des städtischen Raumes denkbar.
Klar ist jedenfalls, dass das Verhältnis von Produktion und Rezeption zur Sprache gebracht werden muss. Die Frage nach dem optimalen Ort für das Hören von Musik ist grundlegend zu stellen.
Musik und Kultur am „Gut Sonnenhausen“
Die Situation am „Gut Sonnenhausen“ ist einfach zu beschreiben. Dreißig Kilometer östlich von München liegt der kleine Ort Glonn. Ebendort befindet sich das „Gut Sonnenhausen“, weit weg von Hektik, Großstadt und Schnelllebigkeit. Wäre die Formulierung „im Einklang mit der Natur“ nicht schon so verbraucht und abgedroschen wäre man geneigt, diese hier anzubringen und als treffend anzusehen. Dass hier alles „bio“ funktioniert, auf Nachhaltigkeit und Regionalität gesetzt wird ist fast schon eine Selbstverständlichkeit. Man könnte es sich hier kaum anders vorstellen. Hier ist man mit den Kühen auf Du und Du und kann ganz genau sagen, von wem Milch oder Honig kommen.
Es wäre nur allzu naheliegend, sich mit dieser Idylle zufrieden zu geben. Sich damit zu begnügen, gut zu Essen, gut zu schlafen und einfach mal zur quasi wohlverdienten Ruhe und Erholung zu kommen. Es spricht sehr für das „Gut Sonnenhausen“, dass sie sich mit Stefanie Boltz eine im Musikgeschäft erfahrene Kuratorin für eine wunderbare Konzertreihe an Bord geholt haben. Im Oktober 2015 wurde diese ins Leben gerufen und auch im laufenden Jahr werden dort einige Highlights zu hören und zu sehen sein.
Es ist evident, dass sie sich ähnliche Fragen wie hier im Text skizziert gestellt hat. Sie hat nach dem richtigen Ort gesucht, an dem sich Musik optimal als Raum-Zeit-Kunst entfalten kann. Sie selbst beschreibt den Ort in Glonn wie folgt: „Ein stimmiger und schöner Ort mit einem frischen, kunstaffinen und neugierigen Geist und mit einem wunderbaren Kulturprogramm, dessen Teil ich als Sängerin auch schon sein durfte.“
Die Stadt-Land-Dichotomie bröckelt somit spätestens hier. Die Stadt, der Kulturaffinität und Kunstsinnigkeit zugeschrieben wird und das Land, an dem man eher „kunstfern“ und sehr am Alltag orientiert vor sich hinlebt. Die sogenannte Provinz lässt sich im Hier und Jetzt nur mehr schwer geographisch verorten, sondern hat sehr viel mit den Denkmustern und Haltungen der jeweiligen Bevölkerung zu tun.
Wie auch immer das Verhältnis von Stadt und Land jetzt genau ist, eines ist deutlich: Mit dem „Gut Sonnenhausen“ hat Stefanie Boltz einen perfekten Ort gefunden, an dem sich über das Wesen der Musik und deren Produktionsbedingungen perfekt nachdenken lässt. Das „Gut Sonnenhausen“ ist kein Elfenbeinturm im städtischen Raum, kein temporärer Rückzugsort, sondern ein grundlegend „anderer Ort“, um mit Michel Foucault zu sprechen.
Das Tempo ist anders als in der Stadt, mehrere Diskurse überlagern sich: Kunst, Kultur, Musik, Kulinarik, Regionalität, Bio. Zusammen ergeben sich einen Rahmen, der es ermöglicht, einen anderen Blick auf die Musik zu werfen, die man ansonsten bei einem Konzert in der (Groß)stadt nur flüchtig rezipiert hätte.
Hier lässt man sich im allerbesten Fall nicht nur für Stunden, sondern für mehrere Tage nieder und wirft mit dieser neu gewonnenen Ruhe einen anderen, ganzheitlicheren Blick auf die dort gebotene Musik. Eine solche von Ruhe getragene Rezeption lässt einen tiefer und genauer verstehen, wie die jeweilige Komposition beschaffen ist. Die Idylle des Landes ermöglicht mehr als nur ein flüchtiges Erkennen, sie ermöglicht in diesem Fall auch Verstehen.
Ein Highlight in diesem Jahr ist zweifellos das Konzert von Simin Tander, die mit ihrem Quartett zu hören sein wird. Simin Tander hat gerade vor kurzem ein gefeiertes Album zusammen mit Tord Gustavsen veröffentlicht. Ihr Quartett steht dieser Qualität aber in nichts nach. Am 17.04 darf man sich in passendem davon überzeugen.
Man kann nur dazu aufrufen, die eigene Stadt zu verlassen. Innsbruck, München oder welcher Stadt auch immer ein paar Tage den Rücken zu kehren. Einen Schritt zurückzutreten. Sich ganz auf Kultur, Kulinarik und Musik einzulassen. Ohne Ablenkungen von Autolärm, Straßenbahnen oder sonstigen Geräuschen. Denn vermutlich ist das die beste Art, um Musik zu genießen. Denn eines ist klar: Das hier ist kein Naturidyll mit Musikuntermalung. Natur und Musik bedingen sich gegenseitig und gehen eine fruchtbare Verbindung ein. Man sollte sich von dieser gelungenen Verbindung demnächst vor Ort selbst ein Bild machen. Denn es ist, was es ist: Ein Paradies für Musikgenießer.
Impressionen
Titelbild: (c) Gut Sonnenhausen