Text von Patrick Berger
Meine erste Reaktion auf die Hochrechnung um 17:00 Uhr lässt sich schwer in Worte fassen. Markus Stegmayr hat diese Situation in seinem Beitrag schon besser in Worte gefasst als ich mir jemals zutrauen würde. Doch Schreck lähmt nur. Lesen hat ihn in Angst verwandelt, Grübeln brachte rationale Distanz und Gespräche lieferten Reflexionen. Trotzdem scheint das Puzzle in mir noch unvollständig. Dieser Beitrag gleicht somit mehr einem Tagebucheintrag als einem scharfsinnigen Kommentar. So arbeitet ein Verstand unter politischem Druck nun einmal. So definiert sich eine Momentaufnahme, die in eine ungewisse Zukunft blickt.
24. April: Vor der Wahl…
Noch auf dem Weg zum Wahllokal stand der Platz für mein „Kreuzerl“ nicht fest. Sollte es der Professor der Politik werden oder lieber das neue Gesicht mit beruflicher Erfahrung in Sachen Gerechtigkeit? Die üblichen Abwägungen bezüglich Kompetenz oder politischer Überzeugungkraft brachten mich zu keinem Ergebnis. Also ordnete ich meinen Wählerwillen anderen Erwägungen unter.
Die Vorstellung eines chauvinistischen Machthabers, der plötzlich mit seinem alltäglichen Gebaren brechen musste, da ihn ein weibliches Staatsoberhaupt besuchte, zauberte mir ein Lächeln ins Gesicht. Außerdem erkannte ich, dass schon dieser erste Wahlgang bereits meine persönliche Stichwahl darstellte. In der zweiten Runde wollte ich mich mit der gleichen Entscheidung quälen. Gemäß den damaligen Umfragen kann sich nun jeder meine Entscheidung vorstellen.
24. April: Nach der Wahl…
Schreck, Schock, Auswanderungserwägungen! Doch musste ich mir ebenso frisch entfachtes Interesse an der Politik eingestehen. Keine Elefantenrunde und keine Zweier-Konfrontation entgingen im Vorfeld meiner Aufmerksamkeit, aber ich machte mich damit nur dem Infotainment schuldig. Plötzlich legte ich jedes gezeigte Bild und jedes gesagte Wort auf eine Waage, die Atomgewichte bestimmen konnte.
Wie reagierten die nun endgültig ehemaligen Großparteien auf ihr erschütterndes Ergebnis? Wie würden sich die Etappensieger präsentieren und ein wenig Entertainment ohne Info war auch noch wegen Lugner dabei. Ich dachte nicht so stark über das „Warum“ nach, denn grob 35 % der Österreicher entschieden sich für die einfachere Wahl, die man sogar noch „blau“ vom Vorabend abgeben könnte. Mich interessierte viel mehr das „Wohin“ dieser neuen politischen Reise für die Alpenrepublik.
25. April: Der Tag danach…
Für mich stehen einige Dinge fest:
Die Wahlkampfleiter fast aller Kandidaten haben versagt. Jede Partei, abgesehen von der unabhängigen Kandidatin Griss, wollte diese Wahl dazu nutzen politisch Boden gut zu machen. Diese Strategien lassen sich einfach mit Aphorismen aus Sunzis „Kunst des Krieges“ kommentieren:
An die ÖVP und SPÖ: Wenn du nicht stark bist – sei klug.
An Van der Bellen: Was den Gegner dazu bewegt sich zu nähern, ist die Aussicht auf Vorteil. Was den Gegner vom Kommen abhält ist die Aussicht auf Schaden.
An die FPÖ: Wenn du deinen Feind kennst und dich selbst kennst, brauchst du das Ergebnis von 100 Schlachten nicht zu fürchten.
An Lugner: Wahrhaft siegt, wer nicht kämpft.
Anders gesagt, haben viele Kandidaten Blut jeder Parteifarbe (außer blau) auf einem Schlachtfeld vergossen, auf dem sie für eine Präsidentenwahl nichts zu suchen hatten.
Nachdem nun vor allem schwarzes und rotes Blut den Boden tränkt, den sie gewinnen wollten, wird sich die politische Landschaft Österreichs ändern. Ein blaublütiges Gebaren der FPÖ ist verdient und angebracht.
Wenn sich rein rechnerisch alle Gegner der FPÖ hinter Van der Bellen vereinen wird es kaum einen blauen und vergleichsweise jungen (Pensionisten) Bundespräsidenten geben.
Die Annäherung an die freiheitliche Partei wird jedoch zweifelsfrei nach dem zweiten Wahlgang beginnen und ab da wird es selbst für mich als strikter Gegner der bisherigen blauen Überzeugungen heikel.
Die Partei unter Strache begann nämlich schon gestern verhärtete Positionen aufzuweichen. Aussagen wie „Wir sind nicht europafeindlich. Wir sind, wenn wir ein zentralistisches europäisches Unionsgebilde kritisieren, die wahren Europafreunde.“ zeugen von einem Umdenken. Vielleicht bewegt das erschreckende Wahlergebnis die FPÖ dazu, sich von der Oppositionspartei hin zu einer kompromissbereiten Regierungspartei zu wandeln.
So würden die Freiheitlichen plötzlich für mehrere andere Parteien als Koalitionspartner in Frage kommen. Eine Evolution, die Österreich gut tun könnte und die Alpenrepublik plötzlich wieder eine Vorreiterrolle in der EU einnehmen ließe. Nach 70 Jahren der Aufarbeitung von rechtem Gedankengut könnte eine gegenseitige Annäherung mehr zu einer Verhinderung eines vierten R… (Schreckens oder wie soll ich es nennen?) beitragen, als eine dauerhafte Abspaltung.
Ich befinde mich in der Stichwahl natürlich auf der Seite von Van der Bellen, aber ich denke dieses Wahlergebnis sollte nicht als Schreck gesehen werden, sondern als Zeichen der Zeit. Eine Zeit, die uns überrascht. Vielleicht sehen circa 35 Prozent der österreichischen Wähler, durch das Internet und die Schrumpfung der globalisierten Welt, nicht mehr so viel Unterschied zwischen internationaler Solidarität und nationalem Bewusstsein. Vielleicht machen wir als selbstbewusstes Österreich noch mehr aus dem Ganzen, das wir Erde oder unsere Welt nennen. Das würde ich mir als Resultat dieser Wahl wünschen!
Am Wahlabend hat Eva Glawischnig im ORF-Fernsehen mit ihrer so charmant versteinerten Miene beflissen erklärt, Hofer sei eine willfährige Marionette von Strache, während van der Bellen als unabhängiger Kandidat erfolgreich den ersten Wahlgang geschlagen habe.
Und Sie kommen mir jetzt gelehrig mit Vernunftargumenten, während ich von der Polit-Elite wie ein Vollidiot behandelt werde?