Ja, ich habe Angst. Die Welt geht den Bach hinunter. Spätestens seit dem ersten Wahlsieg von Norbert Hofer ist der Untergang nahe. Mein Leben hat sich für immer verändert. Und euer Leben wird sich noch verändern. So viel ist sicher.
Vor allem aber wurde mein Text über die Bundespräsidentenwahl von Lesern im fünfstelligen Bereich angeklickt. Das macht etwas mit einem. Man kann kaum widerstehen. Man postet den Text immer wieder unter relevanten Threads, schaut zufrieden und glücklich dabei zu, wie die Leserzahlen augenblicklich nach oben schnellen.
Aus mehr oder weniger wissenschaftlichen Quellen weiß man, dass Facebook-Likes eine ähnliche Wirkung wie Essen oder Sex haben. Wer in den sozialen Netzwerken „gemocht“ wird, fühlt sich bestätigt und angenommen. Glückshormone werden ausgeschüttet. Das nächste Posting mit Like-Garantie ist schon in Planung.
Mode-Blogger können ein eloquentes Zeugnis von diesem Quasi-Suchtverhalten ablegen. Ist erst einmal die richtige und relevante Zielgruppe in der eigenen sozialen Blase gefunden, wird diese immer wieder bedient. Es wird explizit oder zumindest implizit auf die Interessen ebendieser geschielt. Ein geringer Preis. Schließlich macht deren Zustimmung glücklich.
Dahinter steht die Annahme, dass Texte und Postings wirken und dass sich die Funktionsweisen ebendieser auch analysieren und nutzen lassen.
Es gibt Texte, die wirkungslos bleiben, weil die darin enthaltenen Gedanken, Ideen und Ausführungen nur wenige Leser ansprechen und deren Gedankenwelt und Ansichten nicht entsprechen. Der solipsistisch um sich kreisende Schriftsteller, der nur eine vage Vorstellung von seiner Leserschaft hat, kann als Gegenbild zur trendbewussten und wirkungsaffinen Modebloggerin gesehen werden.
Nun ließe sich mit Fug und Recht behaupten, dass dies lediglich divergierende Konzepte in Bezug auf das eigene Schreiben und Wirken sind. Beide Konzepte nähmen sich ja schließlich nichts weg und hätten alle für sich eine Berechtigung. Das mag stimmen. Beides findet auch seine Leserschaft und seine Fans. Doch es lohnt sich die Auswirkung auf das schreibende, postende und wirken-wollende Subjektiv hinter den Texten zu betrachten.
Das erste Bild ist möglicherweise romantisch verklärt. Als vereinfachte Konzeption eignet es sich aber. Stellen wir uns den einsamen Dichter in seiner stillen Kammer vor. Er schreibt, weil er schreiben muss. Weil ihm das Sprechen in der Gesellschaft nicht genügt. Weil er glaubt, dass etwas gesagt werden muss. Weil er annimmt, dass durch sein poetisches Sprechen ein vereinfachender und vereinfachter Diskurs die notwendigen Irritationen und Anregungen erfährt. Er schreibt der Sache und der Sprache wegen. Seine Wirkung zielt auf eine erhoffte Veränderung des Diskurses. Seine Meinung hat die Differenzierung und Weitung der Blickwinkel im Sinn.
Als Gegenkonzeption und als zweites Bild erscheint der Blogger brauchbar. Er schreibt meist weniger der Sprache und der Sache, sondern der Wirkung wegen. Er würde in tiefe Krisen stürzen, wenn sich seine Leser und „Fans“ im dreistelligen Bereich oder darunter bewegen würden.
Er experimentiert mit Überschriften, verführt zum Lesen, manipuliert und drängt zum schnellen Klick im Zeitalter der ständigen Beschleunigung. Er bemüht sich im Rauschen des News-Feeds durch reißerische Überschriften aufzufallen und zu bestehen. Er mag auf Dauer untergehen. Seine Strategie mag wenig nachhaltig sein. Aber für den Augenblick und für die nächsten 1000 Klicks funktioniert sie.
Ich bin der festen Überzeugung, dass die Erfordernisse und die Realität des Online-Journalismus einen neuen Typus des Schreibers und Posters hervorgebracht haben, der eine Mittel- und Mittlerposition einnimmt.
Dieser Schreiber wurde aus seinem einsamen „Elfenbeinturm“ in das unmittelbare „Wirkungsschreiben“ des Online-Schreibens gezerrt.
Er wehrt sich möglicherweise gegen reine Wirkung. Er ist aber fasziniert von den Möglichkeiten und dem Umgang mit Wirkungen und Mechanismen. Er verführt durch Überschriften, möchte mit diesen aber eine Ausweitung und Differenzierung des Diskurses erweitern. In seinen Texten selbst etabliert er literarische Mittel und Verfahren, in der Aufmachung der Texte ist ihm das sogenannte „boulevardeske“ allerdings nicht fremd.
Möglicherweise kann man ihn einen „Realisten“ nennen, da er weiß, dass Texte, die nicht gelesen werden, auch nichts bewirken. Texte, die um sich selbst kreisen und nichts von Online- und Wirkungs-Mechanismen wissen möchten verhallen ungelesen und erzielen keine Wirkung.
Ich würde mir mehr dieser „Realisten“ und ehemaligen „Elfenbeinturmbewohner“ wünschen. Weil diese das Handwerk des Schreibens, Denkens und Formulierens noch beherrschen und dieses auch als zentral ansehen.
Es ist ihnen bewusst, dass sie, wenn sie in der Online-Welt bestehen wollen und sich einen Namen machen wollen, auf eine gegenläufige und manchmal paradoxe Situation treffen: Ihre Texte müssen wirken, dürfen aber nichts von ihrer grundsätzlichen und essentiellen intellektuellen Substanz verlieren. Wer die Substanz des Handwerks zugunsten der schnellen Wirkung aufgibt, verführt nicht, sondern täuscht. Der täuscht vor, Relevanz zu haben und sein Handwerk zu beherrschen, bietet aber nur heiße Luft und behauptete Relevanz, die schnell vergeht und letztlich austauschbar ist.
Wir brauchen somit, überspitzt formuliert, denn die Online-Welt will es so, weniger „Modeblogger“, die rein auf Wirkung abzielen und dabei doch nur Projektionsflächen für eine pervertiere und aus den Fugen geratene Konsum- und Warenfetisch-Gesellschaft sind.
Wir brauchen mehr Schreiber, die von ihrem erlernten Handwerk in Bezug auf die Produktion von Texten den Sprung in den gnadenlosen, „wirkungszentrierten“ Online-Dschungel wagen. Der Online-Welt würde es gut tun. Und die Leserinnen und Leser würden es, wenn nicht augenblicklich dann zumindest auf Dauer gesehen, zweifellos goutieren.
Hier geht es zu den vorherigen Folgen der Kolumne "Kleingeist und Größenwahn"