Mit Joseph Conrad im Titel stehen einem Musikfestival eigentlich sehr, sehr viele ästhetische Türen offen; noch mehr wurden im Rahmen des Heart of Noise allerdings vom Dubstep eingetreten. Das „Herz der Finsternis“ blieb vor allem eine interessante Anspielung, die nur hin und wieder konkret zur Entfaltung kam. Die Electronica- und Techno-Hälfte des Konzepts war – wie sollte es anders sein? – auch im diesjährigen Festival die weitaus gewichtigere. Das Treibhaus als neue Hauptlocation verlieh der Angelegenheit zugegebenermaßen einen recht grünen Anstrich, musste aber (eher ungewohnt) zwangsläufig für nächtelange DJ-Sessions herhalten.
Der Dub als Konzeptkunst
Trotzdem war das lärmende Herz des Festivals vielleicht eher der Musikpavillon, in dem am Samstagnachmittag einige der experimentelleren Formate ziemlich regen Anklang fanden. Die vier Elektro/Dub-Künstler – besonders bekannt: Ulrich Troyer, abwechslungsreicher: Peter Kutin – bewegten sich auf einem Spektrum irgendwo zwischen Sounddesign und akustischem Vandalismus; die quasi-institutionellen Schachspieler des Hofgartens trugen es indes mit erstaunlichem Gleichmut. Der in den Regengüssen förmlich explodierende Innsbrucker Urwald bot einen interessanten ästhetischen Hintergrund für dieses Programm; Jamaika-Gefühle wollten trotzdem nur ganz vereinzelt aufkommen. Zu perfekt, zu technisch, wenn auch originell und intelligent waren die Performances.
Das war wohl angesichts des Festivalmottos auch kaum zu vermeiden, vielleicht sogar beabsichtigt. Zur Eröffnung präsentierte schließlich schon Thomas Ankersmit sein Tonexperiment „Otolith“, das mit der körpereigenen Schallwellenerzeugung spielt. Das ist ungefähr 10 Minuten lang interessant, dann bekommt man Kopfweh und fadisiert sich – wie das halt so ist, mit der Konzeptkunst.
Nur Halbgötter hinterm Mischpult?
Umso eindrucksvoller waren einige Programmpunkte, die weder „Dub“ noch „Heart of Darkness“ auf ihren Fahnen stehen hatten (und die sogar ganz ohne Fahnen auskamen).
Ein, wenn nicht der geheime Höhepunkt war in dieser Hinsicht sicher das Stetson/Neufeld Duo, das sich unter all den Halbgöttern hinterm Mischpult erfrischend liebenswürdig gab und dazu noch eine Stimmung herzustellen vermochte, von der der Dubstep in der Regel nur träumen kann. Ihr musikalisches Projekt (Vocals, Violine und Saxophon – mal Tenor, mal Bass), nachzuhören auf dem 2015 erschienen Album Never were the way she was, vereint alle Vorzüge des Goa in sich, kommt aber mit der reinen, dreist undigitalen Hardware aus. Das Ergebnis ist ein warmer, organischer Sound, der komplex ist und sich sehr langsam entwickelt, aber augenblicklich zum Tanzen einlädt. So begabte Musiker wie Colin Stetson und Sarah Neufeld sind sehr selten auch noch so kreativ – eine wahre Eröffnung!
Löblich erwähnt werden muss auch der heimische Auftakt, das Traurige Tropenorchester, das mitten im Treibhaus seine Keyboards, Laptops und Mischpulte aufstellte und mit etwas, das Hingabe sehr nahe kam, sein eklektisches Projekt durchzog. Das war, wie der Name verspricht, exzentrisch, wild und auch etwas melancholisch; am besten charakterisiert wird es durch den vergeblichen Versuch, eine E-Drum mit einem Blumensträußchen zu spielen.
Charakteristisch für Jacques Palminger und seine Kings of Dubrock war dagegen die Liedzeile „Dreh deine Leber zur Sonne und du bist ein Star“ – auch die Sprachkunst darf nicht zu kurz kommen, wenn das Treibhaus beteiligt ist. Dadaismus hatten wir ja schon, und geschmackvoller war er vor hundert Jahren auch noch, aber man kann mit den Kings jedenfalls seinen Spaß haben. Und zudem waren sie auch noch altmodisch interaktiv und luden sogar zum Mitsingen ein – was in der Dubszene ja schon sehr uncool ist.
Intermedial ausbaufähig
Um die naheliegendste Frage zu beantworten: Funktioniert das Format „Heart of Noise“, auch wenn es im letzten Jahr einige größere Veränderungen gegeben hat? Grundsätzlich ja, und das aus zwei Gründen: Zum einen, weil eine Reihe ganz hervorragender MusikerInnen der Einladung nach Innsbruck gefolgt sind (oder, man glaubt es kaum, sogar schon vor Ort waren) und das Festival mit ihrem Können und ihrer Leidenschaft mitgetragen haben.
Zum anderen deshalb, weil das diesjährige Festivalkonzept insbesondere von einer Person, nämlich dem unerschöpflichen Lee Perry in erstaunlicher Perfektion verkörpert wurde. Wer ihn verpasst hat: Volker Schaner hat mit „Lee Scratch Perry’s Vision of Paradise“ eine sehr sehenswerte Dokumentation gedreht, die den weisen Narren in einem Teil von Jamaika zeigt, der heute dem Paradies doch irgendwie noch am nächsten kommt.
Überhaupt war der intermediale Ansatz des diesjährigen Festivals sowohl gelungen als auch ausbaufähig. Neben der Kooperation mit dem Cinematograph war übrigens auch der bildenden Kunst ein wenig Raum gewidmet: Eine Video- und eine Lichtinstallation luden in der völlig finsteren p.m.k. zum genussvollen Rückzug vom Festival- und Christopher Street Day-Trubel ein.
Peter Kutin und Florian Kindlinger simulierten mit E# – from a glacial tune die Innenansicht einer Gletscherspalte mit Video, Sound und stetigem Wassertropfen – das war wirkungsvoll, auf seine reduzierte Art sehr schön und wider Erwarten auch recht meditativ. Ein Herz der Finsternis definitiv, aber eines, das dem Tiroler um einiges näher liegt.
Opcion, der sich auch als Komponist/DJ blicken ließ, verführte mit seiner dreidimensionalen und streng geometrischen Lichtinstallation SCHEIN dagegen zu allen möglichen Spielereien im dunklen p.m.k.-Konzertsaal. Der Überraschungseffekt beim Eintreten war wirklich sehr passabel – die Mittel aber erstaunlich einfach.
Fazit
Es bleibt dann allerdings noch die Frage, in welche Richtung sich das Heart of Noise bewegt, jetzt wo es ins Treibhaus übersiedelt ist und damit auch eine etwas andere Klientel anspricht. Das aDLERS Top Roof, die einzige Location, die auch in den letzten Jahren schon dabei war, passt jedenfalls nicht mehr ganz zum Rest, und das DJ-Programm am Freitag war dann auch der uninteressanteste Teil des Festivals – zu glatt die Optik und Akustik, zu (buchstäblich) abgehoben der Schauplatz, zu wenig brüchig der Gesamteindruck. Es war aber vor allem mit dem sehr gelungenen Einstiegsprogramm im Treibhaus und der Ausstellung in der p.m.k. zu erahnen, was aus dem Heart of Noise noch werden könnte: Eine ziemlich schräge Mischung, die aber mit einem durchdachten Konzept Menschen aus verschiedenen Szenen und auch solche ohne Szene ansprechen kann – und sie dann auch noch überrascht!
Titelbild: (c) Lindsay Duncan