Die erste Erkenntnis erfolgt bereits nach wenigen Minuten: Sei als Österreicher niemals für Deutschland, wenn auch die Möglichkeit besteht, für Italien oder sonst eine beliebe andere an der EM beteiligte Mannschaft zu sein. Freue dich nicht, wenn Deutschland im Elfmeter-Schießen doch noch gewinnt. Die Blicke, die du dafür erntest, werden von befremdet über verstört bis hin zu wütend reichen.
Orientiere dich stattdessen lieber an kulturtheoretischen Konzepten und Positionen, die du irgendwann einmal gelesen und halb verstanden hast. Besonders für erste Schritte in Sachen unauffälliger Fußball-Rezeption sind Konzepte wie „Wu-Wei“ aus dem fernöstlichen Taoismus geeignet. In diesem geht es unter anderem darum, eben nicht zu handeln. Oder eben nicht überstürzt zu handeln und stattdessen genau zu beobachten, in welche Richtung eine Situation „von-selbst“ neigt. Besonders weise Männer aus dem antiken China hatten das zur Perfektion gebracht.
Ich bin aber sicher, dass sich diese Idee auch auf das Innsbruck (oder Österreich) der Gegenwart übertragen lässt. Gehe in ein uriges Lokal deiner Wahl. Treffe dort auf Ur-Innsbrucker, die dem Patriotismus nicht unbedingt abgeneigt sind. Schaue, wohin die Situation sich „von-selbst“ neigt. Beobachte gut, dass die Stimmung bei besagtem Spiel Italien gegen Deutschland eindeutig zu Italien neigt. Leiste keinen Widerstand und sei nicht aufmüpfig, indem du dennoch zu Deutschland hältst.
Sei weise, zurückhaltend und klug genug, die Zeichen des Augenblicks zu erkennen und dich geschmeidig zu verhalten. Diese hier beschriebene Haltung eignet sich hervorragend für Menschen, die sich schwer mit heimatlichen Gefühlen und Nationalstolz tun. Nach einiger Zeit der mit dem Beobachten verbundenen Mimesis wird dein Verhalten fast so wirken, als würdest du tatsächlich zu der „richtigen“ Mannschaft halten.
Ist diese erste Hürde genommen geht es ans Eingemachte. Es kommt zwangsläufig und zwar immer bei jedem Spiel zum „Absingen“ der jeweiligen Hymne. Sofort analysierst du. Hymnen sind doch Erzählungen, welche die Homogenität einer Nation überhaupt erst konstruieren und hervorbringen. Hymen sind also gleichermaßen ein- wie ausschließend: Wer nicht die gleiche Geschichte, Vergangenheit und die gleichen Erzählungen teilt, kann nicht Teil unserer großen Nation sein. Wir sind Wir und haben es uns zum Ziel gesetzt, die Anderen beim Fußballspiel zu schlagen. Sport ist ja bekanntlich die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Zumindest wenn man der guten Elfriede Jelinek Glauben schenken mag.
Nur drei Worte dazu: Lass es sein! Man legt dir diese Nachdenklichkeit sofort als Distanz und Distanziertheit aus. Womöglich vermutet man gar, dass du zu den „Falschen“ hältst. Unter Umständen intensiviert sich dieses Problem, wenn die eigene Mannschaft spielt. Wer da über Konstruktionen und Nationen nachdenkt, kommt vor lauter reflektieren nicht zum Singen. Singen der Hymne ist dabei aber nicht nur ein gesellschaftliches und soziales Ereignis, sondern ein Bekenntnis.
Wenn du mitsingst signalisierst du zugleich auch den Willen, überhaupt dabei sein zu wollen. Es ist eine Einreihung in die Verfasstheit und Bedingungen der eigenen Nation. Dass die Hymnen dem Fußballspiel vorangestellt sind, ist kein Zufall. Sie bilden quasi den Rahmen. Besser als stillschweigend analysieren und Distanz ausstrahlen ist das schlampige Mitsingen, das Textsicherheit lediglich andeutet. Dazu nehmen man sich ein Vorbild an einem österreichischen Fußballer mit dem Namen Toni Polster.
Die Fußballspiel-Rezeption ist also anstrengend. Die richtige Haltung will eingenommen sein. Die Hymne will so abgesungen sein, dass man nicht auffällig wird. Das alles findet statt, noch bevor ein einziger Ball gekickt wurde.
Es geht los. Es wird gespielt. Jetzt ist es wichtig die Bedingungen des Diskurses zu kennen. Es gibt zwei Blickwinkel die sich anbieten: Der Blickwinkel des Experten. Oder aber der Blickwinkel des blutigen, aber interessierten Laien. Als Experte kann man sich über Aufstellungen auslassen oder den Schiedsrichter kritisieren, der irrtümlich Abseits gegeben hat. Da du aber kein Experte bist, bleibt dir nur der Blick des Laien, der unmittelbar, direkt und emotional am Geschehen beteiligt ist. Schaue dir diverse Ausrufe ab, wie „Uhh“, und „Ah“ oder „Du Trottel“. Setze diese gekonnt und der jeweiligen Situation entsprechend ein.
Auf gar keinen Fall solltest du die Ebene wechseln oder gar den Sprich niemals von Kamera-Fahrten, von Schnitten, von Zooms oder davon, dass sich durch die Veränderung und Erweiterung der Kamera-Möglichkeiten auch der Blick aufs Spiel an sich verändert hat. Alles würde irgendwie schneller und hektischer wirken. Vermeide es allzu steile Thesen aufzustellen, dass sich daran auch der Zeitgeist erkennen ließe und überhaupt Fußball niemals isoliert von Gesellschaft und den Produktionsbedingungen betrachtet werden sollte.
Zu viel denken macht traurig, wie schon der Literaturwissenschaftler George Steiner wusste. Aber nicht nur das: Auch einsam. Wer über Kamera-Perspektiven redet anstatt die richtigen Ausrufe zur richtigen Zeit zu tätigen ist bald auch noch einsam. Mit solchen Menschen will niemand anstoßen oder sich gar bei einem Sieg der „Richtigen“ verbrüdern.
Beachte diese einfachen Regeln und du wirst nach anfänglicher Skepsis Teil der fußballbegeisterten Masse sein. Achte vielleicht noch auf dein Outfit. Leger ist besser als zu gut angezogen. Fußball-Shirts besser als T-Shirts von Math-Rock-Bands.
Sodann: Viel Glück. Möge die Mission Fußballschauen gelingen. Jetzt liegt es an euch.
Titelbild: pixbay.com