Text von Markus Stegmayr
Ihr naiven Idioten. Ihr habt es schon wieder getan. Habt einfach so unbedacht beschlossen den Sommer größtenteils in Innsbruck zu verbringen. Lohnt sich das? Wohl kaum! Spätestens dann wenn euch das Wandern in den Bergen zum Hals heraushängt und ihr einen Tag zu viel in überfüllten Freibädern verbracht habt wisst ihr, dass ihr einen gewaltigen Fehler gemacht habt. Dann bleibt nur noch der Griff zum Alkohol. Bevor ihr euch jetzt aber täglich besauft damit ihr dem grauen Elend des sommerlichen Tirols zumindest für ein paar Stunden entfliehen könnt, solltet ihr diese Liste lesen. Ein gutes Konzert hat nämlich bekanntlich auf der Eskapismus-Skala in etwa die gleiche Wirkung wie fünf Bier.
Julian Prégardien / Fortuna Scherzosa (Details)
Jetzt mal ehrlich. Es gibt kaum schönere Orte in Innsbruck als den „Spanischen Saal“ auf Schloss Ambras. Der Grund dafür ist leicht benannt: Selten fühlt man sich so eingehüllt und aufgehoben in der Geschichte und Vergangenheit der selbsternannten „Hauptstadt der Alpen“. Alles erinnert an bessere Zeiten, als Größenwahn noch irgendwie angebrachter war. An eine Zeit bevor Innsbruck zur Provinzhauptstadt des heiligen Landes Tirol wurde.
Auf der bereits genannten Eskapismus-Skala hat dieser Ort alleine schon die Wirkung von mindestens sechs Bier. Für ein paar Stunden ist man in einer anderen, prunkvolleren und definitiv würdevolleren Welt. Hier muss man nicht der alkoholisierten Tischnachbarin im Biergarten dabei zuhören, wie sie ihrem ebenfalls besoffenen Freund davon erzählt, dass sie erst kürzlich von einer Frau, die sie kaum kennt, per SMS Hure und Schlampe genannt wurde.
Hier darf man außergewöhnlichen Musikerinnen und Musikern zuhören und das Publikum dabei beobachten, wie es sich, der Kultur-Oberschicht entsprechend, in der Pause distinguiert zwei bis drei Gläser überteuerten Rotwein hinter die Binde kippt. Zweifellos eine schöne Alternative zu den Studenten hinter der Uni, bei denen es nur zu billigem Dosenbier reicht. Wo bleibt da bitteschön die Würde?
Das alles wäre ja schon schön und etwas für ein paar Stunden schmerzfreien Aufenthalt im sommerlichen Tirol. Für eine kurze Zeit in der die Frage „Warum?“ nicht auftaucht. Für ein paar Augenblicke, in denen man sich nicht nach Anderswo sehnt.
Umso schöner aber noch, dass sich am 02. August mit Julian Prégardien ein kluger, gewitzter und ausdrucksstarker Ausnahmesänger aufs Schloss wagt. Der gute Julian ist nicht nur ein fantastischer Tenor, sondern auch ein helles Köpfchen. Er hat sich einige Gedanken zur Aufführungspraxis gemacht und darüber, dass die sogenannten Hochkultur auch mal andere Wege gehen und andere Orte zur Aufführung suchen muss. Dass er sich dann manchmal kurzerhand und niederschwellig in Quasi-Wohnzimmer-Atmosphäre von nur einer Gitarre begleitet hinsetzt und einfach nur göttlich singt zeigt, dass dieser Art von Musik und Interpretation noch einige Türen offen stünden.
Dass Julian Prégardien bei diesem Konzert begleitet von der Hamburger Ratsmusik in eher „konventionellem“ und angestammten Rahmen singen wird, macht in diesem Fall nichts. Man muss ja nicht gleich das Kind mit dem Bade ausschütten und darf sich auch an historischen Spielstätten und ein bisschen Hochkultur erfreuen. Aus hier bereits genannten Gründen.
Julian Prégardien und Hamburger Ratsmusik – Ambraser Schlosskonzert | Schloss Ambras, Spanischer Saal, Innsbruck | Dienstag 02.08.2016 um 20:00
Blues Pills (Details)
Von einem deutschen Rock- und Metal Magazin werden die „Blue Pills“ gerade als „Die Band der Stunde“ bezeichnet. Aha. Jetzt ist also schon öder 70er-Jahre-Revival-Rock die Musik-Hoffnung schlechthin im Bereich der „harten“ Musik. Ein Armutszeugnis. Mit Rockmusik der Gegenwart will diese Band jedenfalls so gar nichts zu tun haben. Stattdessen röhrt die Sängerin Elin Larsson als wolle sie Janis Joplin channeln. Dass man sie hauptsächlich barfuß auf der Bühne steht passt da ins Bild. Fräulein Larsson ist trotz ihrer jungen Jahre ein frühzeitig gealtertes Hippie-Mädchen, das sich mit der Erde und der ganzen Welt verbunden fühlen möchte. Dabei ist ihr Bodenhaftung natürlich überaus wichtig.
Kurzum: Es wäre nur allzu einfach diese Band schlecht zu finden. So richtig beschissen. Das Problem aber: Sie sind es nicht. Kommt man erst einmal darüber hinweg, gute Musik mit Kategorien wie „innovativ“ oder „originell“ fassen und definieren zu wollen, gefällt einem diese Musik urplötzlich.
Mehr noch: Nach drei Stunden intensivem Hören ertappt man sich dabei, dass man vor dem Laptop langsam mit zu wippen beginnt und schließlich zu dezentem und der Situation angepasstem Headbangen übergeht. Wo vorher die Vermutung nahe lag, bei denen klänge eh jeder Song gleich, treten jetzt übergroße und mächtige Refrains hervor, die Laune machen und auch noch nach exzessivem Alkoholgenuss laut mit gegrölt werden können. Und verdammt noch mal, da steht wirklich ein „High Class Woman“ auf der Bühne. So viel Sexyness und sinnliche Weiblichkeit war selten bei Rockmusik.
Die Blues Pills schaffen insgesamt den Spagat, den nicht viele schaffen. Sie werden das nächste große Ding und mit ihrer aktuellen Platte „Lady In Gold“ weit oben in den deutschen und österreichischen Charts landen. Weil das sogar Mainstream-Hörern gefällt. Der eine oder andere Song wird gar im Formatradio laufen. Die Band überfordert ihre Hörerinnen und Hörer nicht. Macht aber auch keine seichte Drecks-Musik, sondern zeigt in Sachen Intensität und Songwriting wo der Barthel den Most holt. Wir bekommen eine höchst interessante Symbiose von absoluter Massentauglichkeit und musikalischer Substanz geboten.
Schon klar, dass diese Band das Rad nicht neu erfunden hat. Aber das will sie auch gar nicht. Sie möchte Rockmusik im alten Stil machen. Nicht nur was die musikalischen Ideen betrifft, sondern vor allem was die Haltung zum Musikmachen an sich betrifft: Einfach mal drauflos brettern, sich keine allzu großen Gedanken machen, völlig unakademisch ein paar geile Riffs runterklopfen und dazu soviel Seele und Emotion wie nur möglich in die Stimme legen. Ich konnte es anfangs ja selbst nicht glauben. Aber es funktioniert. Diese Band ist leider geil. Und auch allerbestens zur Realitätsflucht geeignet. Man möchte Hand in Hand mit Elin Larsson durch kalifornische Städtchen gehen, in Bio-Läden einkaufen, den einen oder anderen Joint mit ihr rauchen und sich einen Dreck um die Gegenwart scheren.
Blues Pills | Weekender, Tschamlerstraße 3, Innsbruck | Dienstag 16.08.2016 um 19:00 (Einlass)
Vektor (Details)
„I think I´m losing my mind“. So fängt alles an. Zumindest dieses Album. Dann wären wir ja schon mal zwei. Und nein, das hat in diesem Fall nichts damit zu tun, dass auch ich einen großen Teil des Augusts in Innsbruck verbringen werde. Es ist kein Kommentar auf den unfassbar langweiligen Sommer in Tirol. Es ist vielmehr das ästhetische Programm dieser Band. Die Prog-Thrash-Death-Band Vektor legt mit ihrem aktuellen Album „Terminal Redux“ ein unfassbares Werk vor. Unfassbar gut, unfassbar komplex, unfassbar musikalisch, unfassbar interessant. Nicht nur aus dem engen Metal-Kontext heraus geurteilt haben wir es hier mit einem Ausnahmewerk zu tun.
Die Gitarristen hier unter uns wissen es. Allein die ersten 3 Minuten von „Charging The Void“ haben mehr Ideen und geniale Riffs als die letzten drei Metallica-Alben zusammen zu bieten. Wer harten Metal in den letzten Jahren wegen zunehmender Unoriginalität und Schablonenhaftigkeit ad acta gelegt hatte wird mit dieser Platte eine teuflische Freude haben.
Das ist ganz großes Kino für Prog-Fans, die ihre Riffs gerne kompliziert und ihre Rhythmen und Metren abgedreht und lieber ungewöhnlich mögen. Zugleich kommt aber immer wieder, wenn man es am wenigstens erwartet, der nächste watscheneinfache aber doch hochgradig effektiv Thrash-Part um die Ecke.
Man stellt sich vor wie, in einer besseren Welt, Vektor statt Metallica Stadien füllen, sich Mosh-Pits bilden und in den komplexeren Passagen staunend analysiert wird, wie sie diesen schnellen Wechsel von Palm-Mute und komplexen Akkord-Variationen hinbekommen haben.
Das ist dann auch eine Welt, in der sich langhaarige Kuttenträger mit nerdigen Brillenträgern im Publikum treffen und zusammen Bier trinken, feiern und einfach nur geile Mucke genießen. Eine Welt, in der man nicht schief angesehen wird, wenn man bei den entsprechenden Passagen nicht wie von der Tarantel gestochen in der ersten Reihe beim Moshen Leute anrempelt, sondern lieber in der letzten Reihe zusieht, wie Vektor DIESE Songs von der aktuellen Platte tatsächlich live reproduzieren können und dabei sogar noch so aussehen, als ob sie Spaß hätten.
Das genau ist das Schöne bei Vektor: Sie machen keine Prog-Rock-Angebermusik, die nur ostentativ zur Schau stellt, wie klug und virtuos sie ist. Die Band schreibt Songs mit Wiedererkennungswert. Mit dem Zeug zu zukünftigen Klassikern. In den richtigen Augenblicken finden sie von Vertracktheit zurück zu Einfachheit und Direktheit.
Bevor ich es vergesse. Jetzt mal abgesehen davon, dass diese Band vor Musikalität nur so strotzt liegt den Texten und den Platten jeweils auch ein Konzept zu Grunde. Es geht viel um Science-Fiction. Um Raumschiffe. Um verlorene Seelen im All. Oder so ähnlich. Wer mag kann nachlesen. Sofern er neben dem Irrwitz der Riffs, die einem nur so um die Ohren geballert werden, auch noch zum Texte im Booklet lesen kommt. Somit also Höchstpunktzahl auf der Eskapismus-Skala: Außerirdisch gute Riffs und Songs und dazu auch noch Texte, die sich mit dem beschäftigen, was nicht von unserer Welt ist. Dieses Konzert lohnt sich! Aber sowas von!
Vektor | P.M.K, Viaduktbogen 18-19, Innsbruck | Freitag 26.08.2016 um 20:00
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