Offenbar gab es mehrere Leute, die sich die sonntägliche Talk-Show „Anne Will“ angesehen haben. Die Online-Diskussionen legen das zumindest nahe. Als Österreicher tat man das vermutlich schon einmal deshalb, weil in dieser Sendung Sebastian Kurz zu Gast war. Das ist dieser junge Außenminister, der entweder als Kopist der derzeit grassierenden rechten Thesen oder als Lichtgestalt einer zeitgemäßen bürgerlich-liberalen Politik gesehen wird.
Dieser junge Mann spricht viel. Optisch irritiert sein Auftreten noch immer. Ein wenig wirkt er so, zumindest optisch, als wäre ein Studienabbrecher viel zu früh in die Rolle eines Profi-Politikers gedrängt worden. Seine Anzüge sitzen, doch passen sie nicht recht zu ihm. Viel eher und besser könnte man ihn sich in einem Polo-Hemd und einer lässig ins Haar gesteckten Sonnenbrille vorstellen.
Nur einen Tag vor der Ausstrahlung dieser Sendung lieferten sich Armin Thurnher und Michael Fleischhacker ihre wöchentlichen Streitgespräche in der „Kleinen Zeitung“. Armin Thurnher hat erst kürzlich ein Buch vorgelegt, das sich vornehmlich darum kümmert, wie mit „Rechten“ umzugehen sei. Fleischhacker seziert nach wenigen Absätzen recht süffisant, dass diese Thesen aus einer linkspopulistischen Sicht heraus formuliert seien.
Es gibt gleich zwei Überschneidungen in der Argumentation von Fleischhacker und Kurz. Beide benennen eine sich als moralisch überlegen gerierende Gemeinschaft. Diese Gemeinschaft muss man nicht leicht spöttisch als „Gutmenschen“ bezeichnen. Man kann aber dennoch die Tendenz feststellen, dass diese Gemeinschaft einem als ausbeuterisch, unmenschlich und „rechts“ abgestempelten System die behauptete moralische Reinheit entgegen stellt.
Diese Haltung fußt auf der Behauptung, dass die Einreihung in historisch „linke“ Narrationen und Thesen an den dringend notwendigen Utopien arbeite und dem unmenschlichen System Humanität und Grundsätze entgegen stelle.
Es ist verlockend diese Utopien als Idealbild einer Gesellschaft zu verklären. In der besten aller möglichen Welten gäbe es weder Krieg, noch Flüchtlinge und schon gar keine Kapazitäts- und Identitätsfragen. Überwinden wir erst den Kapitalismus, wird sich der Rest schon ergeben.
Bei alldem bleiben wir im Links-Rechts-Schema verhaftet. Womöglich lässt sich „Links-Sein“ einigermaßen konzise damit beschreiben, dass bei einer solche Haltung nach oben getreten wird, während der „Rechte“ nach unten tritt. „Links“ steht dafür, dass die Mächtigen kritisiert werden, während die Unterdrückten, Schwachen und Ausgegrenzten unterstützt werden. Der „Rechte“ hingegen strebt nach der Erhaltung des Standes der Dinge und stürzt sich, wenn nötig, auf die Schwächsten der Gesellschaft, die als Bedrohung stigmatisiert werden.
Derzeit geht in Europa die Angst um, dass durch das „Links-Sein“ politischer Entscheidungsträger ein folgenschwerer Fehler begangen wurde. „Rechte“ Thesen erstarken. Wir waren zu solidarisch diesen Schwächsten gegenüber. Wir haben uns mit der undifferenzierten Einwanderung Probleme und Terrorismus ins Land geholt. In der Folge beginnen wir, zumindest rhetorisch und manchmal auch handgreiflich, nach unten zu treten. Unsere Identität steht plötzlich auf dem Spiel. Wir fühlen uns bedroht und handeln genauso maßlos und irrational wie vor einigen Monaten noch viele „Linke“.
So recht wollen diese Einteilungen in Lager aber nicht mehr funktionieren. Sie haben vor allem ein großes Problem: Sie sind eine über die Zeit gewachsene und perfekt funktionierende Maschinerie, die gnadenlos bewertet und kategorisiert. Bedient sich ein „linker“ Politiker „rechter“ Thesen begibt er sich ins Gebiet des „Nicht-Sagbaren“. Er hat mit der Übernahme „rechter“ Argumente die Mitgliedschaft in der moralischen Solidargemeinschaft verwirkt.
Das hat auf europäischer Ebene folgenschwere Auswirkungen. Zu viel durfte nicht gesagt und gedacht werden. Vor allem für Intellektuelle, die sich klassisch den „linken“ Narrationen und Thesen anschließen mussten. Die ganze Wucht das bisher „Undenkbaren“ kommt jetzt, irrational und fast ungefiltert, in den Diskurs und vergiftet und verunmöglicht rationale und vernünftige Diskussionen.
Nun ist es nur allzu klar, dass wir die Realität an sich nicht oder nur fragmentarisch erkennen können. Wir sollten aber zumindest unsere Filter und unsere Selektionskriterien kennen. Womöglich ist es so, dass die „Realität“ und die Schlüsse, die wir daraus ziehen, nicht politisch korrekt sind. Womöglich sollten wir strikte Haltungen und Ideologien aufgeben. Wir sollten uns weniger darum scheren, korrekt im Sinne einer bestimmten Narration und Gemeinschaft zu agieren. Die Freiheit des Denkens sollte unser höchstes Gut sein. Dafür kann es gut sein, dass wir uns sowohl auf „linke“ Utopien einlassen als auch nach Notwendigkeit darauf hinzuweisen, dass die Freiheit des Denkens durch den Import eines vor-aufklärerischen Weltbildes in Gefahr sein könnte.
Titelbild: (c) Wolfgang Borrs