… oder; die Evolution des Clowns.
„Wer hat Angst vorm schwarzen Mann“ hat ausgedient. Der schwarze Mann wurde kurzerhand abgelöst und durch einen weißen Typen mit roter Nase ersetzt. Nun könnte man meinen, das wäre ein Schritt in die richtige Richtung, endlich hat das rassistisch anmutende Spiel sein verdientes Ende gefunden. Denn. Ob der schwarze Mann, der in dem beliebten Kinderspiel eine Hauptrolle spielt, nun wirklich afrikanische Wurzeln hat oder einfach nur ein nicht näher definierter Erdenbürger ist, der im Dunkeln lauert, wird noch immer hitzig diskutiert. Die Diskussion hat dieser Tage aber an Aktualität verloren. Endlich offenbart sich, was viele längst zu wissen glaubten, fürchten muss man sich vor den Weißen, vor den „Westlern“, die die Welt fest im Griff haben. Profitgier ist ihr Motto, Ausbeutung ihre Methode und Kapitalismus ihre Rechtfertigung. Doch der weiße Mann mit roter Nase, vor dem wir uns neuerdings fürchten müssen, ist kein Sinnbild für einen antidemokratischen Machtmenschen mittleren Alters mit Saufzinken im Gesicht, sondern ein reales „Spiel“, das sich mittlerweile zum weltweiten Virus entwickelt hat. Die Clowns gehen um.
Fast täglich haben einschlägige, aber auch seriöse Zeitungen, Meldungen parat, in denen der Werdegang der sogenannten Grusel- oder Horror-Clowns detailgetreu und in Echtzeit dokumentiert wird. Wie so oft war die Geburtsstätte eines fragwürdigen Trends, die USA. Irgendwo in South Carolina soll alles seinen Anfang genommen haben. Als Clown verkleidete Menschen erschreckten dort andere Menschen und zwar auf eine Art und Weise, die die Medien berichten ließ. Als das Horrorclown-Phänomen noch drüben in den Staaten und zwischen uns und den Gruselgeschöpfen ein ganzer Ozean war, interessierte das bei uns noch keinen. Doch in den letzten Wochen haben die Grusel-Idioten auch Europa erreicht. Erst Großbritannien, dann den Kontinent. Frankreich, Holland, Deutschland, Österreich. Wien, Steiermark, Kärnten. Seit gestern Abend stehen die furchteinflössenden Geschöpfe vor den Toren Tirols. Höchste Zeit, um sich damit zu beschäftigen.
Was lässt sich von dem Grusel-Trend ablesen? Offensichtlich sind für mich zwei Dinge. Die Menschen scheinen Freude daran zu haben Mitmenschen in Angst und Schrecken zu versetzten. Das ist an sich nichts Neues. Die Art und Weise und die Intensität mit der es passiert, ist jedoch überraschend. Über die Motivation dazu lässt sich wahrscheinlich vortrefflich streiten. Ganze Soziologie-Seminare könnte man damit füllen. Ist es die Langeweile einer ganzen Generation, die den besonderen Kick ersehnt? Die Perspektivlosigkeit, die eine Ersatzhandlung provoziert? Die pure Lust, eine Machtposition auszuüben, die man im realen Leben nicht inne hat? Das Vergnügen anonym zu sein und quasi ohne Konsequenzen seine inneren Dämonen entfesseln zu können? Leben wir in einer Zeit, in der wir uns digital und in unmittelbarer Emotion in Diskussionen stürzen? In der wir die Fähigkeit zur Reflexion verloren haben und lieber sofort drauflos prügeln? Ist das Gruselclown-Phänomen nur ein weiterer Ausdruck dieser inneren Verzweiflung und Leere?
Der zweite offensichtliche Punkt lässt darauf schließen. Anonymität ist in Zeiten der vollständigen Transparenz und Datenüberwachung zu einem wichtigen Thema geworden. Privatsphäre ist etwas für Aussteiger. Um Teil dieser Gesellschaft zu sein, muss man zahlen, die Währung Wissen, Informationen und Daten über sich selbst. Noch nie wussten Staaten, der eigene und fremde, Unternehmen, große und kleine, so viel über uns wie heute. Unterzutauchen, von der Bildfläche zu verschwinden oder einen kleinen Teil von sich selbst, nur für sich zu bewahren, ist schwierig geworden. Nicht umsonst ist das Thema Anonymität so populär wie in dieser Zeit. Ist der Horroclown-Trend also eine Art Rachefeldzug? Ein Aufbegehren oder gar eine Revolte? Eine Revolution? Waren es – in unseren Breiten – früher politische Systeme oder Gesinnungen, korrupte Staatsmänner oder Machtstrukturen, die es zu bekämpfen galt, ist es heute ein globales System der Überwachung, der stillen Manipulation und Führung, das man brechen müsste.
Bestärkt wird diese These, wenn man sich die Schauplätze der Kämpfe ansieht. „Gekämpft“ wird im Westen. In Staaten, die wirtschaftlich in den letzten Jahrzehnten profitiert haben, die eine breite Mittelschicht aufbauen konnten, denen es gut gehen sollte. Doch unter dem Putz rumort es gewaltig. Die breite Mittelschicht, die ohne finanzielle Sorgen und Nöte und ohne Zukunftsangst leben kann, ist eine Fata Morgana. Hier werden Licht und Fakten so lange gebrochen, bis der gewünschte optische Effekt entsteht. Doch das reicht vielen nicht mehr. Die Zeiten sind geprägt von Umbrüchen, von Veränderungen. Die Hochzeit der ehemaligen Industrienationen ist vorüber. Zweistelliges Wirtschaftswachstum ist keine Realität mehr, sondern ein Fall für die Geschichtsbücher. Die Menschen haben immer weniger in der Tasche. Damit es gesellschaftlich dennoch ruhig bleibt, dafür zahlen wir alle einen hohen Preis.
Der Begriff Clown stammt aus dem 16. Jahrhundert und von einem Wort, das „Bauerntölpel“ bedeutet. Und selbst der größte Tölpel haut auf den Tisch, wenn er sich ungerecht behandelt und ausgenutzt fühlt. Der Horror-Trend mag für viele tatsächlich pure Lust am Erschrecken sein und als globales Phänomen so schnell vergehen, wie es gekommen ist. Aber eines dürfen wir nicht vergessen. So gruselig diese Clowns auch sein mögen, unter den Masken stecken Menschen. Und damit die sich so einen Sch… antun, muss schon so einiges im Argen liegen. Also liebe Medien. Wieso also nicht einmal mit einem solchen Clown reden, als mit seinem Opfer?
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