Ja, ich bin gebildet. Und ja, mein Wissen ist elitär. Eine große Mehrheit der Bevölkerung weiß nicht was Hermeneutik ist. Noch weniger hat sie sich mit Poststrukturalismus beschäftigt. Das macht mich, obwohl ich beim Arzt oft mit akademischem Titel angeredet werde, nicht zu einem besseren Menschen. Schon gar nicht möchte ich mich moralisch überlegen nennen. Ich fühle mich auch nicht berufen mit meiner elitären Bildung den weniger Gebildeten die Welt zu erklären. Dennoch passiert im Moment genau das. Bessergebildete erklären den Schlechtergebildeten was sie zu wählen und zu denken haben.
Lange Zeit befanden sich die sogenannten Intellektuellen auf der Seite der Arbeiter und Unterdrückten. Grundsätzlich ist das löblich und die Errungenschaften dieser versuchten Allianz sollen nicht geschmälert werden. In den seltensten Fällen legten die Intellektuellen aber ihre Sprache ab und sprachen die Sprache des „kleinen Mannes“. Die Sprache unterschied sich grundlegend. Während der Arbeiter, tendenziell, von einer handfesten Realität und Arbeitssituation ausging versuchte der Intellektuelle sich mit Hilfe von Begriffen Zugang zur Welt zu schaffen. Diese Begriffe waren niemals rein deskriptiv, sondern formten immer auch den Blick auf die Realität, von deren realer Existenz im Theorie-Dickicht zu sprechen immer schwieriger wurde.
Was in den USA vor kurzem passierte ist beispiellos und Vorbote zugleich. Der „Überbau“ kollabiert. Das System Politik wird vehement angezweifelt. Es wird immer mehr als Zumutung empfunden, sich von Berufspolitikern vertreten lassen zu müssen, denen es primär um Systemerhalt geht. Zum bezeichneten Überbau gehören auch Medien, Intellektuelle, Welterklärer und Theorien-Aufsteller. Allesamt Aktanten in einem System, das vorgibt deskriptiv zu sein. Tatsächlich aber werden Konstruktionen mit Hilfe dieses ineinander greifenden Systems als Wahrheiten an den vermeintlich „kleinen“ und „ungebildeten“ Mann gebracht. Auch die Bildung gilt immer mehr Menschen als Einübung in das richtige Verhalten innerhalb dieses Systems.
In diesem Kontext ist es fast schon provokant zu fordern, dass es mehr Bildung bräuchte. Damit wir auch irgendwie mehr Demokratie hätten. Es ist nicht so, dass der Arbeiter in der amerikanischen Peripherie zu wenig Bildung hätte und sich deshalb auf die Seite von Donald Trump schlagen würde. Es ist so, dass er einen Zusammenhang zwischen Bildung, Universität, Politik und Intellektuellen erkennt. Dieser Verflechtung misstraut er. Und setzt dieser seinen ureigenen Zugang zur vermeintlichen Realität entgegen.
Denn da ist es wieder: Das alte Problem einer offenkundig immer noch angestrebten Allianz von Intellektuellen und dem „kleinen Mann“. Die „Welterklärer“ mögen es gut meinen, wenn sie jedem Bildung zukommen lassen möchten. Sie mögen tatsächlich hoffen, dass damit die Welt wieder ins Gleichgewicht kommt und Demagogen wie Donald Trump in Zukunft keine Chance mehr haben. Sie irren sich aber grundlegend.
Was hier kollidiert sind die gänzlich unterschiedlichen Weltzugänge. Immer noch machen sich heutige Intellektuelle Gedanken über den Zustand der Welt. Finden Begriffe um Ordnung in die Unordnung zu bringen. Erschaffen Theorien, um Unvergleichbares zu vergleichen und Strukturen und Tendenzen zu erkennen. Der „kleine Mann“ erkennt und betrachtet die Welt grundlegend anders. Er möchte den Theorie-Dschungel und die mediale Meinungs- und Erklärungsflut durchbrechen. Er hat das Gefühl, dass Medien, Intellektuelle und Gebildete ihnen die Welt, wie sie tatsächlich ist, verstellen und verklären.
Man hört es oft. Donald Trump würde die Dinge so ansprechen, wie sie eben wirklich sind. Er würde sich kein Blatt vor dem Mund nehmen. Norbert Hofer schreibt man ähnliche Dinge zu. Er würde die „Realität“ der Flüchtlingsthematik besser fassen und erfassen, wie die Regierung. Das mag man anzweifeln. Es ist aber eine Tatsache, dass immer mehr Menschen, ob in Österreich, Europa oder den USA, genau diesen Eindruck haben. Das System der Intellektuellen und Welterklärer führt weg von der Realität an sich. Außerdem verstärkt sich das Gefühl zunehmend, als sei das Denken der Intellektuellen ein Denken der Verbote. Die politische Korrektheit, die ja gerade in den USA fröhliche Urstände feiert, ist da nur ein Ausdruck davon.
Ja, Trump ist ekelhaft und ganz sicherlich ein Lügner. Er ist aber manifest gewordener Ausdruck einer Unzufriedenheit mit dem derzeitigen System. Die Tendenz solche Personen zu wählen lässt sich nicht verniedlichend mit „Protestwahl“ abtun. Seine Wahl ist nur ein Vorzeichen für eine tiefgehende Verunsicherung und Entzweiung von Denkweisen. Immer mehr Menschen wollen sich ihre „Realität“ zurückholen und möchte sich diese nicht mehr medial von gebildeten Menschen vermitteln und erklären lassen. Die Radikalität mit der derzeit eine Rückkehr dieser Forderung zu Tage tritt zeigt auch, wie sehr eine Vielzahl von Realitäten lange Zeit unterdrückt wurde und unsagbar war.
Hätte ich aber jetzt als vermeintlich Gebildeter in den USA Donald Trump gewählt? Ich weiß es nicht. Natürlich stößt er mich ab. Und natürlich sind seine Aussagen zum Teil untragbar und unfassbar. Womöglich wäre aber die Wahl zwischen Hillary Clinton und Trump schwer gewesen. Clinton steht mit ihrer jahrzehntelangen Politik-Erfahrung für eine enge Verzahnung mit dem System, mit dem sich immer weniger Menschen identifizieren können. Sie ist eingeübt in ein Denken, das Wahrheiten und Realitäten perpetuiert. Trump durchbricht diese Logik. Kümmert sich nicht um Denkverbote. Poltert gegen Eliten. Das ist natürlich kein Programm. Aber womöglich taugt die Wahl von Trump als ein Einschnitt und ein Weckruf für die Eliten dieser Welt.
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