Ungehorsame Bildung
Als „The Miseducation of Lauryn Hill“ erschien war sie schon ein Star. Zwei Jahre zuvor, 1996, erschien „The Score“ von der Band „The Fugees“. Als Leadsängerin dieser Band wurde sie im Mainstream vor allem durch ihren Gesang auf der Cover-Version von „Killing Me Softly“ weltbekannt. Aber auch die anderen ausgekoppelte Singles wurden, in einer Zeit als MTV noch vornehmlich Musik brachte, rauf und runter gespielt. Ihre Stimme war charakterstark, unverkennbar. Auf diesem Album war bereits gut hörbar, dass Lauryn Hill nicht „nur“ eine begabte Rapperin ist, sondern ein sehr gutes Händchen für Melodien und Gesangs-Harmonien hat.
1998 war ihr Jahr. Besser wurde es in ihrem Leben nicht mehr. Den raschen Aufstieg zum Superstar verkraftete sie nur schlecht. Wegen Steuerhinterziehung musste sie sich im Jahr 2013 gar für drei Monate ins Gefängnis begeben. Künstlerisch konnte sie an die Qualität von ihrem 1998er-Album nie mehr anschließen. Halbgare Unplugged-Alben zeigten zwar ihre Musikalität, ließen aber ihren Innovationsgeist und ihre künstlerische Selbstbestimmung weitestgehend vermissen.
Auf „The Miseducation of Lauryn Hill“ war ihre Welt aber noch intakt. Sie komponierte, arrangierte und musizierte originell, unkonventionell, dennoch informiert. Tief in der Tradition stehend dachte sie Einflüsse weiter, bewies lyrische Brillanz und nahm gleich alles selbst in die Hand. Sie schrieb, produzierte und arrangierte alle Songs auf diesem Album. Hilfe holte sie sich lediglich von Co-Produzenten und befreundeten Musikern. Sie aber blieb die Herrin in ihrem Haus.
Allein schon der Titel gibt die Marschrichtung dieser Platte vor. Er bezieht sich auf „The Mis-Education of the Negro“ von Dr. Carter G. Woodson aus dem Jahr 1933. In diesem Text vertritt Woodson die These, das die Schwarzen weniger unterrichtet als vielmehr indoktriniert wurden und werden. Die amerikanischen Schulen brächten ihnen bei, sich in die Gesellschaft einzuordnen und in dieser einen geringen Stellenwert einzunehmen. Er ruft in seinem Text Schwarze dazu auf, Autodidakten zu werden und Verantwortung für die eigene Bildung zu übernehmen. Für ihn ist Bildung eine Form um Kontrolle über die ohnehin schon marginalisierte schwarze Bevölkerung zu behalten und gegebenenfalls wieder zu erlangen.
Das Album von Laurny Hill lässt sich leicht in diesen Rahmen setzen. Es ist ein Meisterwerk, dessen Vermächtnis mit Alben von Solange oder D´Angelo fortgesetzt wurde. Letzterer befindet sich passenderweise auch als Gastsänger auf dem Album. Lauryn Hill zeigt sich auf der Platte insgesamt als überaus informierte, bedachte und kluge Musikerin.
Sie kennt „ihren“ Hip-Hop, weiß mit Soul, Funk und Pop umzugehen. Sie bedient sich aus dem Fundus der „schwarzen Musik“ ebenso virtuos wie aus Versatzstücken der „weißen“ Popkultur. Authentizität und die Erschaffung von strikt „schwarzer“ Kunst sind nicht ihre Hauptanliegen. Die Platte setzt auf Hybridität. Der Kultur-Begriff von Lauryn Hill ist bunt, heterogen, vielfältig. Sie lässt sich weder als anpasste Musikerin des weißen Mainstreams beschreiben, noch als Künstlerin, die sich ausschließlich der Schwarzen-Gemeinschaft verpflichtet fühlt. Hill ist ungehorsam: Sie lässt sich nicht vereinnahmen, festlegen oder klar und eindeutig beschreiben.
Damit nimmt sie Woodson beim Wort. Sie ist gebildet, aber nicht erzogen. Sie kümmerte sich um ihre eigene Bildung und wendet Wissen an, oftmals gegen sich selbst. Wissen und Bildung über Kunst, Kultur und Gesellschaft werden bei ihr nicht zum Instrument der Indoktrinierung, sondern zu einer Art Waffe zur Befreiung. Wer ungehorsam ist und sich nicht unterwerfen lässt, der muss sich selbst entwerfen. Das schafft Lauryn Hill hier mit Bravour. Bei ihr wird Bildung und Informiertheit zum Mittel um ungehorsam zu sein und sich seine eigene Welt und seinen eigenen Platz in der Gesellschaft zu erschaffen.
Fazit
Der kulturelle Wert dieser Platte ist gar nicht zu überschätzen. Lyrisch ist das Album, neben der Großartigkeit der Musik, absolut brillant. Thematisch streift sie Themen wie Geld und dessen negativen Einfluss, wenn man zu viel davon hat. Sie besingt in dem melodisch vielleicht eindrucksvollsten Lied „Ex-Factor“ die Abgründe und die Schönheit der Liebe. Schmerz wird klar und präzise abgehandelt. Nicht zuletzt kommt auch ihre Rolle als Superstar zur Sprache und überhaupt wird viel über das große Ganze und mögliche Rollen in der Gesellschaft gesungen und gerappt.
Fazit: Ein Meilenstein, den man, falls man es nicht Jahre nach der Veröffentlichung ohnehin immer wieder mal tut, endlich wieder einmal anhören sollte. Fast 20 Jahre nach der Veröffentlichung hat er nämlich absolut nichts von seiner damaligen Intensität verloren.
Zum Reinhören
Titelbild: (c) fugees-online.de auf flickr.com, Bearbeitung: Felix Kozubek