Wenn man Prospekte verschiedener Reiseanbieter durchblättert, dann tauchen immer wieder so genannte Geheimtipps auf. Dabei handelt es sich meist um Gebiete auf unserem Planeten, die noch wenig touristisch erschlossen sind. Das genaue Gegenteil vom touristischen Geheimtipp sind Gegenden, die sich so stark den Touristen angepasst haben, dass die Einheimischen oft gar nicht wissen, was dort vor sich geht. Beispielsweise ist das Bild von Mallorca aus der Perspektive eines Touristen (so er nur den Ballermann kennt) und aus der Perspektive eines Mallorquin (so er den Ballermann nicht kennt) ziemlich differierend. Ähnlich kann es einem Tiroler ergehen, wenn er sich nicht zwischendurch in die Hotspots des Wintertourismus stürzt. Deshalb fuhr ich für einen Kurzurlaub nach Ischgl, um die dringend notwendige Nachschulung im Bereich Tirol Inszenierung zu erfahren und habe dabei einige spannende Entdeckungen gemacht.
Ich hatte statt eines totalen Undercoverbesuchs (bundesdeutscher Akzent, blinkender Partyhut und immer ein Bier in der Hand) eher die Rolle des übertrieben ursprünglichen Tirolers gewählt. Dies führte nicht zu den erwarteten Reaktionen à la „endlich ein Tiroler“ und damit einhergehend einer Menge Sympathiepunkte, sondern zu ernsthaften Kommunikationsproblemen. Kaum einer der deutschen, tschechischen, slowakischen oder anderen Gastarbeiter verstand meine freundlichen Bestellungen: „Hoi Moaschta, gibsch ma no zwoa“. Auch wenn ich Einheimischen begegnete (es handelte sich dabei um die Besitzer der Gaststätten oder Hotels), wurden diese weniger freundlich als misstrauisch: „Wos mocht jetzt der Tiroler do, mit dem muas wos faul sein.“
Doch noch viel interessanter als die vollkommene Abwesenheit von Landsleuten war die Zeitreise, die ich kostenlos dazubekam. So wie Ötzi im Eis konserviert wurde, werden offenbar auch Trends und Konsumartikel in Ischgl erhalten. Es tauchten an der Aprés Ski Bar Getränke auf, deren Existenz ich ganz vergessen hatte. Neben dem roten Flügerl erfreuen sich auch Alkopops noch immer größter Beliebtheit und zwar in der Ü40 Generation. Dass solche infantilen Produkte dann zu einem dementsprechend infantilen Verhalten führen (ständiges Polonaise tanzen zu Songs über Lukas Podolski mit bereits erwähntem blinkenden Hut) erstaunte mich nur mäßig.
Generell erschien mir, dass die Zeit in den Bergen stehen geblieben ist, seit mindestens 1980. Während diverse Gesundheitswellen in Bezug auf Alkohol, Ernährung und Rauchen durch unser Land zogen, wurden dort oben nur mehr Liftanlagen gebaut. Von wegen Weizenwampe, Zuckerkrank und Veganismus, hier darf es noch schmecken. Gegrillte Frankfurter nicht nur mit vielen Karzinogenen, sondern auch noch mit Pommes. Zuckerberge nicht nur auf und in dem Kaiserschmarren sondern auch noch im großen Cola dazu. Ein Berg Schlag, der dem Piz Buin ordentlich Konkurrenz macht, auf der Tomatensuppe und dem Kakao. Und als Umrahmung: Alkohol bereits ab dem frühen Vormittag und überall leidenschaftliche Raucher. Ich muss zugeben, dass sich dieses Wochenende mehr als nur gelohnt hat! So sollte Urlaub sein.
Sehr lustig!
Die Konservierung der 1980er Jahre überrascht mich übrigens nicht, da erst in dem Jahrzehnt der Wintertourismus begann, das ganz große Geschäft zu werden und erst in den 1990ern den Sommertourismus überholte (nachzulesen in den sehr aufschlussreichen Graphen von Tirol von Josef Nussbaumer et al.). Ich denke, da halten einfach Anbieter und Konsumenten an dem fest, was damals so toll funktioniert hat.