Ein Medley mit Fisch & Vogel
Man stelle sich ein Unterwasser-Treffen zwischen Tom Waits, Björk und Sergej Prokofjew vor. Allerhand mythische und zwielichtige Kreaturen ziehen vorbei, Tom Waits schreibt die Texte, Björk singt feenhaft. „Schließ mal dein Cello an den Strom an!“, sagt Waits zu Prokofjew. Und dann tanzen alle hemmungslos und ausgelassen.
In etwa so kann man sich ein Konzert der Brightoner Moulettes vorstellen, nur viel besser. Eigentlich ist die aktuelle Europa-Tour – Innsbruck war tatsächlich der Auftakt – dazu gedacht, das kürzlich erschienene „Preternatural“, ein ganz geniales Konzept-Album über Korallenriffe, Medusa und bislang unentdeckte Meeressäuger, zu feiern.
Überschattet wird die ganze Sache natürlich von dem nur schwer überwindbaren Kulturabgrund, zu dem der Ärmelkanal gerade wird. Aber vielleicht bleiben sie ja hier, die Moulettes, heißt es einmal zwischen zwei Songs. Das wäre schön, denn ein einziges Konzert war, auch wenn die vier Herrschaften ordentlich lange spielten, eigentlich viel zu kurz.
Die große Liebe zur Sprache…
Das ist vielleicht auch ein Problem unserer verkümmerten „Gedächtnisspanne“ – im Übrigen das deutsche Lieblingswort von Frontfrau und Songwriterin Hannah Miller. Die Liebe zur Sprache ist überhaupt eine treibende Kraft hinter dem Projekt Moulettes, und so ist die European Special Edition des neuen Albums nicht nur von großem Bilderreichtum, sondern auch noch dreizehnsprachig (Lettisch, Deutsch und Schwedisch inklusive). Ein großer Verlust für die EU.
Live zeigt sich die Band zu viert – Ruth Skipper mit ihrem Fagott bekommt man nur auf dem Album zu hören. Allerdings wird man von Hannah Millers Virtuosität am E-Cello dafür mehr als entschädigt. Da steht sie, ganz zuvorkommende Britin, mit irrer Coolness auf der Bühne und singt, während sie über die Saiten fetzt, und man kann nur denken: „Das will ich auch!“
Das E-Cello ist ein maßlos unterschätztes Artefakt. Im Sound gibt es alles zwischen E-Gitarre, Bass und Jim Jarmusch her. Die Kombination aus Streichbogen und Elektrizität ist für sich genommen eine geniale Erfindung, und das E-Cello ist mit Sicherheit ihr Höhepunkt.
Die Streichgewalt der Moulettes ist deshalb eigentlich nur von ihrer Stimmgewalt übertroffen. Alle Songs werden mindestens als Duette gesungen, von Hannah Miller und Gitarristin Raevennan Husbandes mit ihrer nonchalanten Altstimme.
Ollie Austin ist indes ein Drummer, der mit großer Präzision spielen und dann auch noch die Background-Vocals geben kann. Jim Mortimore hat seine Bariton-Ukelele leider zu Hause in Brighton gelassen, ist aber auch am Bass ein großes Vergnügen.
… und zum Dubiosen
Trotzdem ist klar: Hier geben die Frauen den Ton an, und schaffen unbekümmert ein einziges grandioses Spiel mit Klängen, Bildern und Worten. Preternatural kommt eigentlich aus der mittelalterlichen Philosophie und bezeichnet alles, was zwischen dem Natürlichen und dem irgendwie nicht mehr Erklärbaren liegt – so interessant war Thomas von Aquin noch selten.
Klarerweise schwebt das „Praeternaturale“ im 21. Jahrhundert aber nicht mehr zwischen Wolken und Himmelskörpern, sondern treibt in unserem Inneren sein Unwesen. Denn egal wie gut wir die Welt erforscht haben, uns selbst können wir maximal über die Kunst als Medium (ein bisschen) verstehen.
Manchmal interessiert das den Rest der Welt aber einen Scheißdreck, wovon etwa der Song „Pufferfish love“ handelt. Der männliche Kugelfisch verbringt, so heißt es, seine Tage damit, schöne Skulpturen in den Sand zu bauen, die je nach Wellengang sofort wieder futsch sind. Und dann ist die gemeinte Fischdame davon in der Regel auch gar nicht so beeindruckt, wenn sie sich überhaupt blicken lässt.
Eine schöne Metapher für die wunderbare und meistens völlig vergebliche Arbeit eines Künstlers – und eine der schönsten Metaphern des Albums. Aber natürlich gibt es in Innsbruck auch Applaus, wenn man das Bild des Parasiten zum Anlass nimmt, ein bisschen über diverse world leaders zu sinnieren.
Die Koralle dagegen ist der politische Gegenentwurf: Eine einzige herrliche Symbiose aus Pflanze, Mineral und tierischem Leben. Und der Mensch macht’s wieder kaputt, klar. Kein Wunder, dass gelegentlich Klagen aus dem Publikum über Anflüge von Melancholie kommen.
„Silk“, eine Nummer über die mysteriöse Musikalität der Spinnen beim Netzbauen, hilft den Stadtneurotikern nur bedingt darüber hinweg. Schön ist es doch.
Und gegen Ende lassen es die Moulettes noch einmal richtig fetzen – ein Fest für alle Sinne und für den Intellekt dazu. Männer, das könnt ihr auch. Bis ihr es begriffen habt, reißen wir aber gerne das E-Cello an uns. Man mag es glauben oder nicht, aber wir können uns damit, zumindest für die Länge eines Konzertes, über den ganzen großen Welt-und-Brexit-Schmerz hinwegtrösten.
Titelbild: (c) Moulettes