Von der Indie-Band zu richtigen Popstars
Wer im Jahr 2010 darauf gewettet hätte, dass Bilderbuch die neuen Popstars im deutschsprachigen Raum werden hätte sehr viel Geld gewonnen. Begonnen hat alles unscheinbar und unspektakulär im Jahr 2005. In Kremsmünster in Oberösterreich beschlossen ein paar Jungs netten Indie-Rock-Pop zu machen. 2011 gab es mit „Die Pest im Piemont“ leichte musikalische Fortschritte. Mit 2015 kam der Bruch. Ab sofort dominierte der Funk, der Elektro und die Sexyness. Der prüde und eher bieder Mantel der vergangenen Alben wurde eingemottet. Eine Band erfand sich neu und machte fortan Prince zu einem ihrer Haupteinflüsse. Die Produktion von „Schick Schock“ trug noch das ihrige dazu bei.
Maßgeblich für die Popstar-Werdung von Bilderbuch war das Video zu „Maschin“ verantwortlich. Während andere österreichische Bands in Pseudo-Authentizität torkelnd und grölend durch ihre Musik-Videos stapften, machte es Bilderbuch gänzlich anders. Pop wurde beim Wort genommen und auf seine künstlichste und künstlerischste Weise ausgelegt. Pop definiert sich bekanntlich nicht über Musik und Musikalität, sondern über sein Zeichensystem.
Pop ist niemals mit Popularmusik zu verwechseln, sondern mit der Bezugnahme auf Alltag, Gegenwart und Popkultur an sich. Pop ist selbstbezüglich, versteht das Handwerk der Überspitzung und Überhöhung von alltäglichen Erlebnissen und Gegenständen. Die „Maschin“ im gleichnamigen Lied war ein gelber Lamborghini, in die der Sänger Maurice Ernst lasziv mit eindeutigen Blicken einlud.
Was folgte war ein ziemlich wilder Ritt. Dieser wilde Ritt wird mit „Magic Life“ tendenziell noch wilder. Es ist von Akkus die Rede, von Stress, von Sneakers, wieder mal von Softdrinks und vielem mehr. Dieses Mal lädt Maurice nicht in sein sündteures Auto, sondern in seinen Bungalow ein. Dazu singt, rappt und wortspielt er, als hätte er viel zu viel Falco, Prince und Elektro-Soul der Gegenwart gehört. Im Gegensatz zu diesem gegenwärtigen Neo-Soul amerikanischer Prägung spielt bei Bilderbuch die Gitarre aber noch immer eine große Rolle. Nicht schrammelnd, sondern durch diverse Effektgeräte geschleift und überwiegend unfassbar funky-sexy-geil.
Viel wurde bereits über „Magic Life“ geschrieben. Die Band würde alles ironisieren und gegenwärtige Trends quasi lächerlich machen. Dieser Auslegung steht die Aufrichtigkeit und Detailverliebtheit der Instrumentierung entgegen. Es wäre geradezu absurd, diese überzeugende Auslegung des Gegenwarts-Pops als reine Ironisierung abzutun. Bilderbuch arbeiten vielmehr, mit „Magic Life“ noch intensiver als je zuvor, an der Überschreitung ihrer eigenen Wurzeln und der eigenen Herkunft.
Hier riecht nichts mehr nach Wien, sondern fast alles nach Welt. Einige Elektro-Spielereien könnte man sich auch auf Alben von Sampha oder Frank Ocean vorstellen. Maurice spricht einige Worte nicht wienerisch-österreichisch, sondern wie englische Worte aus. Das ist nicht nur sauwitzig und macht Laune, sondern definiert das Verfahren dieses Albums.
Dieses Verfahren macht deutlich, dass es nichts bringt, wenn wir uns als Musiker und Künstler in unsere ur-gemütlichen Beisel zurückziehen und dort unter Alkoholeinfluss unsere tieftraurigen und ur-berührenden Lieder schreiben. Wir müssen mehr als nur einen Schritt hin zur Welt machen, zur Popkultur der Gegenwart. Nicht mehr lange wird man uns aufgrund unseres charmanten Wiener-Schmähs mangelnden Ideenreichtum verzeihen.
„Magic Life“ geht über vor Ideen, bleibt aber zum Teil Skizze. Ein guter Trick, denn so suggeriert die Band, dass dieser überzeugende Pop-Entwurf erst der Anfang von noch viel mehr wunderbaren Möglichkeiten und Ideen sein könnte. Pop lebt auch von Versprechen, die man womöglich gar nicht einhalten kann. Größe einer Band definiert sich nicht über tatsächliche Größe oder gar Großartigkeit, sondern über die Inszenierung dieser Größe und Großartigkeit, die einem die Rezipienten dann bestenfalls auch abkaufen und glauben. Genau das gelingt Bilderbuch jetzt schon seit einigen Jahren.
Kein reines Spaß-Album
Bei so viel Pop vergisst man schon mal leicht, dass „Magic Life“ kein reines Spaßalbum ist. Auch hier kommt es seiner Funktion nach, ein Pop-Album im allerbesten Sinne zu sein. Pop übertreibt nicht nur und macht den Alltag zu etwas Wunderbarem und Magischem, sondern formuliert mit Überaffirmation auch Kritikpunkte. Der Titel des Albums bezieht sich darauf, dass wir in Mitteleuropa wie in einem „Magic Life Club“ leben, während wir zunehmend ahnen, dass dieser Zustand nicht natürlich ist und bald enden könnte. Bis dahin trinken wir Champagner, schenken uns noch ein paar Gläser ein und tragen unsere Sneakers und unsere Kleidung postmodern-ironisch. Was aber, wenn dahinter eine Welt liegt, die uns dieses Lotterleben streitig machen möchte? Was wenn die Welt wie wir sie kennen bald zerbricht?
Bei genauem Hinhören ist diese Brüchigkeit auch in der Musik wahrzunehmen. Im Gegensatz zu so manchem perfekten Pop-Entwurf der Gegenwart bei anderen Künstlern verrutscht auf „Magic Life“ immer wieder etwas. Die Gitarre klingt, trotz aller Effekte, nicht immer perfekt. Manchmal liegt sie auch, beabsichtigt, neben der Spur und sorgt für Irritationen. Auch gesanglich gerät einiges schief. Man kann davon ausgehen, dass sich diese Irritationen in der monatelangen Studio-Arbeit leicht hätten glätten lassen. So aber schleifen Bilderbuch Störmomente in die glitzernde und schillernde Pop-Oberfläche ein. Das macht einiges von der Großartigkeit dieser Musik aus.
Fazit
Es geht zu Ende. Mit unserer schönen, bunten Welt voller Sneakers, Stress und Partytime. Bis dahin: Hoch die Tassen, gefeiert und gesoffen was das Zeug hält. Und Bilderbuch gehört. Denn es könnte alles schneller vorbei sein, als es uns lieb ist. Mit Bilderbuch können wir bis dahin nachschenken statt nachdenken. Die Ernüchterung kommt eh noch schnell genug. Bilderbuch ist die Pop-Band der Stunde. Genau deswegen.
Zum Reinhören
Titelbild: (c) Nicolas Schabram, flickr.com
Versprechen eingelöst, (fast) ohne Belehrung, bravo!
Mir gefallen Bilderbuch auch, obwohl ich sicher nicht deren Zielgruppe bin, aber noch besser gefällt mir zu lesen, was du an denen so gut findest, dass du dich zu einer lobenden Kritik hinreißen lässt – die aber eben kein unreflektierter Jubel ist.