Dieser Text war in seiner ursprünglichen Form komplett gegendert. Zu besseren Lesbarkeit wurden die Formulierungen jedoch angepasst und dieser Hinweis platziert. Alle Fotos (c) Live.Hör.Spiel.
Seit mehreren Jahren schon findet in Innsbruck unter dem Namen „Live.Hör.Spiel“ ein Hörspiel der besonderen Art statt. Unser Autor traf Johannes Vergeiner, Mitglied von „Live.Hör.Spiel“, zum Interview und sah den letzten Teil des heurigen Dreiteilers „Soul Music“.
Was ist „Live.Hör.Spiel“?
Wer, wie ich, glaubte, jedes Hörspiel auf einer Bühne vorgetragen ist ein „Live.Hör.Spiel“, der irrt. Die aus einem Freundeskreis entstandene Gruppe erarbeitet jährlich ein Hörspiel aus einem Terry Pratchett-Roman und präsentiert dieses genau einmal: Es gibt keine Proben. Klare Zusammenhänge sind den Beteiligten vorab nicht bekannt.
Aber nun mal ein Überblick über den Entstehungsprozess:
- Alle sind Terry Pratchett Fans.
- Im Sommer schreibt ein Mitglied ein dreiteiliges Hörspiel aus einem Terry Pratchett-Roman.
- Auf der Bühne sind dann circa zehn Menschen am Hörspiel beteiligt.
- Einer ist nur für Geräusche zuständig.
- Die Beteiligten bekommen NICHT das ganze Hörspiel-Skript, sondern nur die für sie vorgesehenen Passagen mit Stichwort vorher. Alles andere ist geschwärzt.
Der Schreiber verteilt klare Rollen. Einen klaren Erzähler gibt es NICHT. Was „rollenlos“ erzählt werden muss, wir unter jenen aufgeteilt, die im Moment keine Rolle spielen/lesen.
Der Geräusche-Macher hat ein Skript mit Passagen sichtbar, die sich für Geräusche eignen. - „Seinen Text“ kann also jeder vorbereiten, weiß aber nicht genau, was in einem Dialog die anderen Rollen sagen.
- Für Rollen überlegt sich jeder ein kleines Kostüm und zieht das im richtigen Moment auf der Bühne an.
- Musikeinlagen werden vorher genau konzipiert.
- Geprobt wird nur gemeinsames Lesen, meist mit Stücken aus dem Vorjahr.
- Und dann geht’s auf die Bühne: Einmal und einzigartig.
- In den Aufführung 2 und 3 gibt es vorher natürlich ein „Was bisher geschah“.
Gedacht ist das Konzept natürlich so, dass man sich den gesamten Dreiteiler ansieht. Verkauft werden Ein-Tritt, Zwei-Tritt und Drei-Trittskarten mit jeweiliger Ermäßigung.
Das Erlebnis als „Pratchett“- und „Live.Hör.Spiel“-Jungfrau
Ich war überfordert. Und das hat sicher mehrere Gründe. Erstens war ich bei Teil 3 von 3. Für „Jungfrauen“ wie mich wäre es sicher ratsam bei Teil 1 dabei zu sein. Zweitens war ich noch nicht oft in einem Hörspiel. Drittens kannte ich Terry Pratchett nur vom Hören, was bei seinem besonderen Stil definitiv ein Nachteil ist. Viertens hat mich das Format verwirrt. Es wurde an diesem Abend nicht so erklärt, dass ich wusste, wer nun was in seinem Skript hat, was der Geräusche-Typ weiß, wie die Musik zustande kommt und vieles mehr. Bei einem Format, das auch von einer Improvisations-Komponente lebt, möchte ich das aber genau wissen und mich nicht vom Format irritieren lassen. Dazu kommt noch, dass es nicht einen Erzähler gibt sondern zehn, was die Irritation noch etwas weiter trieb. Und dann gibt es ja nicht nur was zu hören, sondern auch zu sehen, weil sich die „Sprechis“ (wie sie sich nennen) auch noch verkleiden. Und dann kommt natürlich ab und an die Verwirrung bei den Akteure_innen selbst, weil sie ja nicht den Text der anderen kennen.
Zusammengefasst: Eine auf vielen Ebenen überfordernde Entjungferung.
Fazit
Was sich der Freundeskreis rund um „Live.Hör.Spiel“ da antut ist Performance auf höchstem Niveau. An dem scheitern sie auch aus meiner Perspektive etwas. Sie sind ein mix aus Freunden, wo einer mehr und der andere weniger mit Kunst in irgendeiner Art zu tun hat. Ein Hörspiel zu schreiben ist herausfordernd. Ein Hörspiel aufzuführen ist herausfordernd. Ein Improvisations-Hörspiel aufzuführen, wo man nicht weiß, was der Inhalt und die Worte des anderen sind, ist mega herausfordernd. Zusammenfassungen zu konzipieren, damit Menschen auch in Teil 2 oder 3 einsteigen können ist immens herausfordernd.
Um mich, weder Pratchett- noch Hörspiel-Fan, da zu unterhalten, bräuchte es wahrscheinlich mehr Professionalität, die mich begleitet. Ist man allerdings Pratchett- oder (Live.)Hör(.)spiel-Fan, ist das sicher ein ganz toller Abend. Dann fällt eine große Irritations-Ebene weg und man kann es genießen. Alle Vorstellungen waren ausverkauft und ca. 50% der Besucher_innen sind Stammgäste. Auch Illustrationen werden von den langjährigen Fans gezeichnet. Hut ab vor dieser Leistung. Ein Teil der Einnahmen wird übrigens auf Wunsch von Terry Pratchett an eine Organisation, die sich mit Alzheimer beschäftigt, gespendet. Man tut also beim Live.Hör.spielen und sehen/hören auch was Gutes.
Die nächste Möglichkeit gibt es dann wahrscheinlich wieder im Jänner 2018.
Schön, dass das Live.Hör.Spiel dem Afeu einen Artikel wert ist. Leider hat Lukas Schumacher nicht eine der früheren Aufführungen in der Bäckerei besucht. Damals wurden klassische Pratchett-Texte bearbeitet und das auf äußerst unterhaltsame Weise (gebe allerdings zu, ich bin Terry Pratchett Fan).
Soul Music ist jedoch ein sehr später Roman und schon im Original etwas verwirrend. Ich konnte leider diese Live.Hör.Spiel-Produktion nicht anschauen, vermute jedoch, dass die Einführung von so viel Livemusik das Team etwas überfordert haben dürfte. In den früheren Produktionen schien es noch so, als hätten die Agierenden mindestens so viel Vergnügen wie das Publikum.
Mal sehen, was uns 2018 geboten wird.