Plattenzeit #47: Steely Dan – Aja

7 Minuten Lesedauer

Jazzrock? Nein danke!


Jazzrock hat nicht den besten Ruf. Manchmal wird er gar „Fusion“ geschimpft. Dann meint man eine eher wenig bekömmliche Mischung der harmonischen Komplexität des Jazz mit der Kraft und der Lautstärke von Rockmusik. Dabei könnte alles auch anders sein. Der Rock könnte dem Jazz seine Verkopftheit nehmen und der Jazz könnte dazu beitragen, dass dem Rock mehr als nur drei Akkorde beigebracht werden. Verkommen ist der Jazzrock allzu oft zur virtuosen Kraftmeierei, die dem Jazz noch mehr Breaks und irrwitzige Wendungen abringt. Dabei ist das Hören meist genau so anstregend wie das Musikmachen. Die Musik wird zu Leistungsschau und das Hören zur Schwerstarbeit. Das ist nicht immer schön.
Denn merke: Jazz und Rock verstehen sich eigentlich nicht. Wer kennt ihn nicht den Witz in dem darüber gespöttelt wird, dass der Jazzmusiker 1000 Akkorde vor 3 Leuten spielt und der Rockmusiker 3 Akkorde vor tausend Leuten. Sieht man sich die heutige Situation und die generelle Unzufriedenheit der Jazzmusiker mit der Gesamtsituation an, dann ist dieser Witz gar nicht so weit hergeholt und weitestgehend Realität. Jazz-Clubs, zumal jene die sich den avantgardistischen Strömungen verschrieben haben, schließen massenweise. Sogar in der Jazz-Welthauptstadt New York stehen wichtige Spielstätten vor dem Aus.
Nun könnte man Jammern, dass die Hörgewohnheiten der heutigen Musikkonsumenten verkümmert sind und sich niemand mehr für musikalischen Einfallsreichtum und harmonische Komplexität interessiert, sondern nur möglichst seicht und einfach bespaßt und beschallt werden möchte. Man kann aber auch anerkennen, dass der Jazz im Heute überwiegend zur reinen Musikermusik geworden ist und Experimente oft nur für Eingeweihte verständlich sind. Nebenher fristet der Jazz noch ein Nischendasein als Hintergrundbeschallung zum Steakessen und Rotweintrinken in ausgewählten Bars.


 „Aja“ – Ein möglicher Neubeginn


Dabei hätte alles so schön sein können. Tatsächlich ist es ja noch nicht zu spät. Thundercat erinnert auf seinem aktuellen Album an mehr als nur einer Stelle an Steely Dan. Das ist erstaunlich, da die Platte so gar nichts mit Rock am Hut hat, sondern vielmehr mit Soul und R´n B. Damit wird deutlich, dass Genres und Genrebezeichnungen, man verzeihe mir diese Formulierung, generell für den Arsch sind. Der heutige Musiker ist, sofern er wirklich Musiker ist, grenzenlos und genrelos. Sind dann auch noch die Songs wirkliche Songs und tatsächlich gut und wieder erkennbar, dann klappt das womöglich auch mit der Flucht aus der Mikro-Nische.
„Aja“ ist dabei ein Vorbild, das man wieder mal zur Seite nehmen und intensiv anhören sollte. Es erschien 1977 und markierte womöglich den künstlerischen und kommerziellen Erfolg von Steely Dan. Das liegt vor allem daran, dass man auch nach mehrmaligem Hören nicht genau weiß, was man überhaupt gehört hat. Eine Rockplatte? Eine Jazzplatte? Und Himmel noch mal soulig ist die Sache auch noch! Easy groovend beginnt das Teil mit „Black Cow“. Eine halbe Minute später ist schon ein hörerfreundlicher Chor zu hören, der sich in den Gehörgängen festsetzt. Ja, das ist Musik die auch im Radio funktionieren würde. Das ist Musik, die damals verkauft wurde und sogar Platin-Status erreichte.
Tatsächlich wird Steely Dan und vor allem auch „Aja“ gerne in die Nische „Jazz-Rock“ abgeschoben. Das tut  der Platte nicht zwingend gut, auch wenn es nicht grundsätzlich falsch ist. Schließlich lässt sich hier sogar die Jazz-Legende Wayne Shorter am Saxophon hören.
Was „Aja“ von so mancher Jazz-Rock-Platte unterscheidet ist seine Lockerheit und Gelassenheit bei gleichzeitiger Wahrung höchsten Anspruchs, höchster Komplexität und höchster Musikalität. „Aja“ klingt nach Popmusik, ist aber in seiner harmonischen Beschaffenheit keine. Die Songs strotzen vor hochinteressanten Einfällen, überraschenden Wendungen und bemerkenswerten Verzweigungen, hängen das aber nicht an die große Glocke. Wenn unerwartete Abzweigungen genommen werden, dann mit einer Lässigkeit und mit einem Lächeln auf den Lippen. Verbissenheit und Muckertum: Fehlanzeige.
„Aja“ zeigt somit, wie es ginge: Jazz, der nicht nach Jazz klingt. Musikalität, die nicht nach Anstrengung klingt. Jazzrock, der nicht nach Leistungsschau riecht. „Aja“ ist eine hoch komplexe, feingliedrige und detailverbliebte Platte, die sich jedem interessierten Hörer generös und bereitwillig öffnet. Dazu trägt auch noch der warme Sound und die subtile Aufnahme des Albums bei. In keiner Minute will sie den vermeintlich „ungebildeten“ Hörer abschütteln und mit elitärem Gehabe abschrecken. Langsam will sie einen in den Bann ziehen und mit seiner Verspieltheit zum Wieder- und Wiederhören einladen.


Fazit


„Aja“ ist wichtig. Das weiß man. Seit 2003 findet sich das Album in der Grammy Hall Of Fame. 2011 wurde das Album durch die Library of Congress ins Register Nationaler Aufnahmen aufgenommen. Das Werk wird als “ kulturell, historisch oder ästhetisch wichtig“ eingeschätzt. Stimmt. Das klingt aber auch sehr nach Vergangenheit. Nach einer Platte, die man sich auflegt um große Leistungen einer Band komprimiert zu hören. Wünschenswert wäre es aber, wenn „Aja“ wieder eine kleine Welle von komplexen aber nicht komplizierten, von anspruchsvollen aber nicht elitären Platten auslösen würde. Träumen wird man ja noch dürfen.


Zum Reinhören


Titelbild: (c) Gettin It, flickr.com Bearbeitung: Felix Kozubek

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

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