Es begann als Traum. Endlich selbstständig! Kein Chef mehr, der einem Anweisungen geben kann! Ab sofort nur mehr manchmal lästige und teilweise inkompetente Kunden, die nicht wirklich wissen was sie wollen und erst recht nicht verbalisieren können. Dazu kam, dass ich ab sofort arbeiten konnte wo und wie ich wollte. Ort und Zeit bestimmte weitestgehend ich. Im Nacken saßen mir lediglich die eine oder andere Deadline, die aber ebenfalls zum Teil Verhandlungssache war. Es klang wie ein Vorgeschmack auf das Paradies.
Wenige Monate später erkannte ich die Realität. Vor allem der Aspekt der Ortsungebundenheit erwies sich als tückisch. Wer prinzipiell überall arbeiten kann, der kann das auch tun während die Kinder im Nebenzimmer spielen. Wer so gut wie überall arbeiten kann, der kann seine Mails auch beantworten, während die Töchter Tanzstunde haben. Wer nicht an einen fixen Ort gefesselt ist, der findet aber auch nicht immer die benötigten Rückzugsräume, um ebendort konzentriert und ungestört arbeiten zu können.
Das nennt man dann wohl „Work-Life-Balance“. Das Leben geht weiter, während man arbeitet. Besser sogar. Man muss gar nichts mehr balancieren oder austarieren, weil ohnehin alles immer zeitgleich präsent ist. Die Arbeit wird durchzogen vom sogenannten „Leben“. Die Arbeit findet statt, während andere ganz und gar unmittelbar um einen herum leben. Zum Schulstart intensiviert sich diese Überlagerung von Leben und Arbeit.
Kolumnen entstehen. Kommentare werden geschrieben. Texte für Magazine werden fertiggestellt. Indessen steht das Leben nicht still. Der Schulbeginn mit seinen „Soft-Opening-Tagen“ muss von Menschen erfunden worden sein, die nie selbst Kinder hatten und dabei zu arbeiten versucht haben. Der erste Tag beginnt mit einer Schulmesse und einem kurzen Willkommenheißen. Das Kind steht alsbald wieder in der Wohnung. Der zweite Tage ist kaum besser. Erst am dritten Tag beginnt der reguläre Unterricht. Zum Glück hat man aber daran gedacht, dass die Nachmittagsbetreuung erst am nächsten Tag beginnt. Das ist die optimale Möglichkeit, um noch einen Tag zu generieren, der schreibende Väter an den Rand des Wahnsinns bringt.
Solche Tage sind intensiv, zumal wenn die Partnerin zeitlich weniger flexibel ist und sich ab und zu doch fix im Büro sehen lassen muss. Dann heißt es etwas zu praktizieren, von dem man sagt dass es Frauen besser können: Multi-Tasking. Es sind Tage zwischen präzise Gedanken formulieren, gute Headlines finden, Spaghetti kochen, Socken aus Wäschebergen bergen und Streits zwischen Schwestern schlichten. Allein diese Aufzählung zeigt, dass zu Schulbeginn die Work-Life-Balance ins Wanken gerät. Es gibt dann eindeutig zu viel „Life“ und zu wenige „Work“.
Das zunehmende Chaos des Kinderzimmers dringt bald tief in die eigene Arbeitsweise ein. Das Sein bestimmt quasi das Bewusstsein. Mit der zunehmenden Unordentlichkeit des Kinderzimmers wird auch der schreibende und arbeitende Vater unordentlich. Im schlimmsten Fall übersieht er den Teil der Deadlines, die eigentlich nicht verhandelbar oder aufschiebbar gewesen wären.
Ab diesem Zeitpunkt gibt es eine reziproke Wirkung die schnurstracks ins Verderben führt. Nicht nur das zunehmende Chaos im Kinderzimmer hat Einfluss auf die Arbeitsweise, sondern die zunehmend chaotischere Arbeitsweise hat Einfluss auf das Kinderzimmer und auf das Familienleben. Getragene Socken werden nicht mehr aus Wäschebergen geborgen, Spaghetti verkochen, Streits eskalieren. In diesen Momenten des manifest gewordenen Chaos kollabieren Zeitpläne, Spielregeln und Grundlagen des harmonischen Zusammenlebens.
Zum Glück dauert dieser Ausnahmezustand in dieser reinen Form lediglich vier Tage. Mehr wäre auch nicht schaffbar. In regelmäßigen Abständen kehrt dieser aber, in abgemilderter Form, immer mal wieder zurück. Der Selbstständigkeit sei Dank.
Titelbild: (c) Tumra Needl, Flickr.com