For us
„All my niggas in the whole wide world […] / For us, this shit is for us“, sang Solange auf ihrem Ermächtigungs-Album „A Seat at the Table“. Damit waren die Adressaten ihrer Lieder klar benannt. Ihre Songs galten den „niggas“, also den Schwarzen dieser Welt. Das allein war schon eine Art von Kompromiss. Solange hätte wohl am liebsten, wenn es nicht ganz so schwierig wäre, ihre Songs nur an die schwarzen Frauen dieser Erde adressiert. Deren Schönheit, deren Probleme und deren Wut streicht sie auf ihrem Album jedenfalls besonders hervor und findet dafür, trotz aller Frustration und trotz aller Dringlichkeit, erstaunlich poetisch-zarte aber klare Worte. Die Musik dazu ist überwiegend sanft aber eindringlich, komplex aber nicht kompliziert. Solange will verstanden werden, weil ansonsten ihr Anliegen nicht gehört werden würde.
In diese großen Fußstapfen tritt Kelela, die mit Solange mehr als nur verbandelt ist. Beide standen schon auf der selben Bühne, Kelela war außerdem auf „Scales“ zu hören, das einen der absoluten Höhepunkte auf „A Seat at the Table“ bildete. Überhaupt war Kelela bereits viel auf den Platten anderer Menschen zu hören, etwa auf einem Track des Damon Albarn Projektes „Gorillaz“. Früher hatte sich Kelela, mit vollem Namen Kelela Mizanekristos, gar mit Tosin Abasi zusammengetan. Von Indie über Progressive-Rock bis hin zu R ’n‘ B hat sie schon alles abgefrühstückt.
Spätes Debüt
Umso erstaunlicher, dass sie bisher kein ganzes Album unter eigenem Namen zustande brachte. 2013 erschient ein Mixtape mit dem Titel „Cut 4 Me“. Das brachte ihr höchstes Lob von der bereits erwähnten Solange Knowles und von Björk ein. Auf den Jahres-Bestenlisten der Meinungsmacher belegte es vordere Plätze. 2015 schob sie dann die EP „Hallucinogen“ nach, wiederum sehr zur Freude der Musikjournalisten, die ihr schon zuvor das Etikett „Future-R´n B“ umgehängt hatten.
Danach folgte schweigen. Der Marktlogik folgende legt man eigentlich Debüt-Alben vor und setzt EPs als Anheizer ein. Nicht so Kelela. Sie ließ sich Zeit. Mehr Zeit als eigentlich vernünftig ist. Währenddessen hielten Solange und etwa die Legende Erykah Badu Kelela im Gespräch. Man würde untertreiben, wenn man „Take Me Apart“ nur als herbeigesehnt beschreiben würde. Viele Anhänger dieser Spielart von schwarzer Musik glaubten an nichts weniger als an die kommende Revolution des Genres.
Seit letzten Freitag liegt das Album vor. Und es rauscht schon gehörig im Blätterwald. Auch deutsche Feuilletons sprangen auf den Zug auf und beschrieben das Album etwa als „schillernd“. Das trifft tatsächlich zu, zumal sich Kelela mit herausragenden Produzenten umgeben hat, allen voran „Jam City“ oder der Björk-Kollaborateur Arca. Dass die Songs und vor allem die Texte alle aus ihrer Feder stammen ist in ihrem Umfeld keine Besonderheit. Die Qualität der Songs jedoch schon. Hier geht es, trotz des anzüglichen Covers, nicht um das Image eines sexy Püppchens, das sich möglichst gut vermarkten lässt.
Kelela verkompliziert das Anliegen von Solange sogar noch einmal. Wut ist bei ihr weniger zu spüren, auch konkrete Adressaten werden nicht genannt. Politische Aussagen lassen sich, auch nicht zwischen den Zeilen, keine finden. In Interviews spricht sie aber davon, dass sie vor allem „queere“ schwarze Frauen im Kopf hat, wenn sie Songs zu schreibt. Das ist auch die eigene Perspektive der in Chicago geborenen Musikerin mit äthiopischen Wurzeln.
Wenn sie auf dem Cover nackt posiert, dann ist das kein Verkaufsargument, sondern ein Akt der Selbstermächtigung. Sie habe sich gefragt, wovor sie am meisten Angst habe, gab sie in einem Interview zu Protokoll. Und das war, verständlicherweise, sich hüllenlos auf ihrem Debüt-Album-Cover zu zeigen. Tatsächlich nimmt man diese Art von Nackheit aber bereits auf den ersten Blich als anders wahr. Kelela ist zweifellos sexy, aber auch selbstbewusst und selbstbestimmt. Ihr Blick ist weniger lasziv als fordernd und einfordernd. Diese Frau weiß was sie will und geht aufs Ganze. Diese Foto wurde ihr nicht eingeredet, sondern es fußt auf einer ganz bewussten, eigenmächtigen Entscheidung.
Es passt aber auch ganz hervorragend zur Musik, in der es tatsächlich auch viel um Sex und Körperlichkeit geht. Der männliche Blick beißt sich daran aber meist die Zähne aus. Wer glaubt, Kelela mag sich als begehrenswertes Frauchen in Szene setzen, der irrt. Sie sagt, was sie will. „I could touch myself bae/but it´s not the same/if you could stop and help me out“, formuliert sie sehr direkt auf „S.O.S.“. Selten klang eine Forderung, untermalt von flirrenden Klangflächen, so zärtlich. Kein Wunder somit, dass das Spex von „zarten Zeiten“ sprach, die mit „Take Me Apart“ anbrechen werden.
Die Musik selbst hat insgesamt mehrere Ebenen. An der Oberfläche klingt sie, vor allem auf der Lead-Single „LMK“, fast schon wie „konventioneller“ R ´n B. Schnell aber schon öffnet sich die Platte und andere Aspekte werden hörbar. Die lange Zeit, die sie sich für ihr Debüt gelassen hat, macht sich bemerkbar.
Sie kombiniert ihre „zarten“ Songs mit eindringlichen Beats, abgefahrenen Elektro-Spielereien und mit harmonischer Reichhaltigkeit. Daraus ensteht eine Musik, die mehrere „Funktionen“ erfüllt. „Take Me Apart“ ist einerseits ein Kopfhörer-Album. Wer sich Zeit und gute Kopfhörer nimmt, wird mit zahllosen Details und Feinheiten belohnt. Andererseits funktionieren viele der Tracks auch in einem Club-Kontext. Die Beats hämmern, stolpern, brechen, versöhnen sich. Mehr als nur einmal hat Kelela den Überraschungsmoment auf ihrer Seite, wenn Songs Seitwärts ausscheren. Immer wieder findet sich aber auch zu grandiosen „Pop-Momenten“, die auch in breitenwirksamen Radiostationen ankommen könnten.
Das Album ist alles zugleich: Tanz-Album, Hör-Album, Pop-Album und Weirdo-Album. Erstaunlich daran ist aber vor allem, dass es nicht wie eine Abfolge von Ideen klingt und seine Grenzüberschreitungen nicht an die große Glocke hängt. Es wirkt nahtlos, leichtfüßig, logisch, zu Ende gedacht. Dass Kelela nach ihren eigenen Zeitvorstellungen gearbeitet hat macht sich also bezahlt. Sie hat nicht nur ihr lange erwartetes Debüt-Album vorgelegt, sondern ein Album, das sich mit „A Seat at the Table“ messen kann und in Sachen Sounds und Beats noch deutlich mehr in eine noch genauer zu definierende Musik-Zukunft schaut.
Fazit
Hat sich das Warten auf das Album gelohnt? Zweifellos. Ist es die herbeigesehnte Revolution des Genres? Ja und nein. Denn das interessiert Kelela nicht so sehr, wie man es ihr gerne zuschreiben wollte. Sie blickt rückwärts genauso sehr wie vorwärts, klingt genau so sehr nach Janet Jackson in ihren allerbesten Zeiten wie eben nach besagtem „Future R´n B“, der sich vor den allerneusten Produktionstechniken und Elektro-Avantgarde-Einsprengseln ganz und gar nicht scheut.
Das Album ist aber nicht zukunftsfixiert oder gar geschichtsvergessen. Es ist, was es ist. Ein verdammt gutes Album, das hohe Wellen schlagen wird. Es ist ein Meisterwerk insofern, als dass es von einer Person erschaffen wurde, die bereits auf ihrem Debüt-Album Meisterschaft in Bezug auf ihren Ausdruck und Kontrolle über ihr Musikschaffen erlangt hat. Etwas, das in der heutigen Zeit und noch mehr in diesem Musik-Kontext selten geworden ist.
Zum Reinhören
Titelbild: (c) Pedro A. Pina, Flickr.com