Star in „Boboville“
Gerne erzählt der Wiener Liedermacher Matthäus Bär, Spezialist für Kinderlieder die auch Erwachsenen gefallen, dass er „big“ im siebten Bezirk in Wien sei. Ja, das ist der Bezirk Nebau. Ja, das ist auch der Bezirk, in dem die Grünen sogar mehr als 10 Prozent bekämen wenn Ingrid Felipe als Spitzenkandidatin antreten würde. Dort wohnen Menschen, die für ihre Kinder nur das Allerbeste wollen. Beispielweise Holz-Spielsachen oder Vollkorn-Nudeln.
Einher mit diesem Bewusstsein, dass das eigene Kind nur das Allerbesten essen und besitzen sollte, geht auch ein gewisser Qualitätsanspruch an Musik. Mit herkömmlicher, hingerotzter und liebloser Kindermusik-Stangenwaren braucht man diesen Eltern erst gar nicht kommen. Wer an Wanda, Bilderbuch & Co. geschult ist lässt sich nicht jeden kommerziellen Dreck vor die Nase setzen.
In Hall in Tirol, nahe Innsbruck, ist die Situation naturgemäß ein wenig anders als im Bezirk Neubau. Wenn auch vergleichbar. Nicht zuletzt weil das „Stromboli“ als Bastion einer eher linken Gesinnung inklusive „Refugees Welcome“ Mentalität gelten kann. Das merkt man nicht zuletzt daran, dass man bereits bei der Kartenreservierung online gefragt wird, ob man mit dem Auto fahre (pfui) und also wenigstens einen oder mehrere Asylsuchende vom nahe gelegenen Flüchtlingsheim mitnehmen könne (hui). Als politisch korrekt gestimmter und gesinnter Mensch mit gutem Musikgeschmack macht man mit einem Besuch im „Stromboli“ nichts falsch.
Als Anreisender ohne Asylsuchende im Gepäck, schließlich ist das Auto ja schon mit den Kindern voll und somit darf von einem Sonderfall gesprochen werden, hat man aber am Tag des Konzertes ganz andere Probleme als die Wahl der richtigen Location die zum eigenen, richtigen Weltbild passt. Man hat vorerst ganz banale Luxusprobleme wie etwa die Parkplatzsuche. Hall ist schließlich nicht Neubau und von den öffentlichen Verkehrsmitteln nicht ähnlich gut erschlossen. Stress vor dem Konzertbesuch ist damit vorprogrammiert, denn erst nach mehreren Ehrenrunden findet sich ein Plätzchen für das Auto, das natürlich kein Diesel ist.
Wer glaubt, dass damit der Stress überstanden ist, der irrt. Qualitätsaffine Mütter sind nämlich nicht immer die nettesten Menschen. Qualitätsbewusstein braucht nämlich auch Haltungen, Überzeugungen und vor allem die Mentalität, dass gerade dem eigenen Kind der beste Sitzplatz zusteht. Der liebe Nachwuchs, Provinz-Bobos in spe, soll den besten Blick auf die Bühne haben, zudem wollen die eigenen Eltern in Sichtweite bleiben. Die eigenen Sprösslinge wollen beaufsichtigt sein. Denn wer die zukünftigen Bildungseliten zu oft aus den Augen lässt findet sie bald bei McDonalds essend mit Plastik-Spielzeug spielend wieder und erkennt sie nicht mehr.
Eine Rockshow
„Das hier ist kein Kindergarten, das ist eine Rockband“, legten Matthäus Bär und seine beiden Mitmusiker los. Obwohl die CD, die bei der Liedauswahl an diesem Nachmittag im Mittelpunkt stand, „Stromgitarre Schlagzeug Bass“ heißt hatte Bär lediglich Gitarrist und Schlagzeuger mitgebracht. Ersterer bediente auch von Fall zu Fall Keyboards und kümmerte sich um Beats aus der Zaubermaschine.
Anfänglich verhalten rezipierte das Kinderpublikum die Musik. Die Stimmung stieg, als Matthäus Bär aktiv wurde und die Anwesenden nach der Lieblings-Eissorte fragte. Ein weiterer Stimmungsaufheller und Euphorie-Erzeuger war das Lied „999 (Nein!)“. Mit „Nein, Nein, Nein, Nein, ich will nicht!“ gab Bär der noch nicht pubertierenden Kinder-Meute das Rüstzeug für gegenwärtige und vor allem aber zukünftige Abnabelungs- und Autonomie-Szenarien mit. Den Eltern, nicht wissend dass sie ihre Kinder heute zu ihrem ersten Pop-Konzert gebracht hatten, gefiel es außerdem.
Es sollte noch schlimmer kommen. Auch das Holzspielzeug, ansonsten ja sakrosankt, bekam sein Fett weg. Da wurden Kinder beschrieben, die lieber mit Plastik-Barbies als mit pädagogisch wertvollem Spielzeug spielten und denen der Vollkorn- und Hochwert-Wahn ihrer Eltern zum Hals heraushing. Die Eltern blieben ruhig. Unverständlicherweise. Vielleicht weil alles nur ironisch gemeint war und die Ironie zum künftigen Standard-Repertoire der Kinder gehörte, die damit ihre intellektuelle Überlegenheit gegenüber Kindern aus Nicht-Akademikerhaushalten zur Schau stellten?
Nein, denn Bär meinte es bierernst. Aber Bär, der eigentlich gar nicht Bär heißt, ist eine Kunstfigur. Wie gemacht für Neubau und alternative Kulturstätten im ganzen Land. Er beherrscht die Popkultur-Codes im Schlaf, mag Glitzerschuhe und verfügt über jede Menge nonchalanten Wortwitz. Wenn sich Bär auf die Bühne stellt, dann lächeln die Erwachsenen, weil sie gerade Meta-Ebenen erkannt haben. Etwa in „Rockbär“, in dem keine Rockshow gemacht, sondern eine Rockshow beschrieben und ihre Zutaten skizziert werden. Die Kinder hingegen grooven zu den Rock-Riffs und haben intuitiv verstanden was Sache ist.
Das ist die Doppelbödigkeit von Bär. Den Eltern, zumeist der Schicht der Bessergebildeten zuzurechnen, gibt er reichlich Futter. Diese können sich beispielsweise über die bewusste Fokussierung auf die Essenz eines Songs austauschen. Sie sind angehalten darüber zu reflektieren, warum die Titel seiner Songs so einfach sind und welche Konsequenzen diese Reduktion für die Musik hat. Sie kämen zum Ergebnis, dass Bär seine Lieder von überflüssigem Ballast befreit und zu einer konzisen Klarheit gelangt. So glasklar sind seine Songs, dass die „Erwachsenenmusik“ noch einiges von diesen vermeintlichen „Kinderliedern“ lernen könnte. Und damit wäre noch nicht einmal darüber geredet, welche komplexe Konnotationen er einfachen Wörtern abringt und wie er zugleich die Kinderwelt und die Welt der Erwachsenen mitmeint.
Die Kinder hingegen himmeln Bär an. Sie haben ihren ersten Pop-Star gefunden. Die Kunstfigur Matthäus Bär ist das Zentrum in diesem Spiel. Nach dem Konzert schreibt Bär eifrig Autogramme, Kinder lächeln. Zuhause erzählen sie wie „cool der Matthäus Bär“ doch gewesen sei und nehmen die Autogrammkarte am nächsten Tag stolz in die Schule mit. Die mit dem Taschengeld selbst gekaufte CD ist darüber hinaus zum Heiligtum geworden, die Eltern und Geschwister mit ungewaschenen Händen erst gar nicht angreifen dürfen.
Fazit
Gehört die Musik von Matthäus Bär jetzt aber den Kindern oder den Eltern? Man kann es nicht mit letzter Gewissheit sagen. Fakt ist, dass sie Wert auf Qualität legt und anders als vieles in diesem Segment ist. Sie gibt den Eltern etwas zum Analysieren und den Kindern etwas zum Lieben. Das kann so schlecht ja schon mal nicht sein. Nicht zuletzt hält sie übervorsorglichen Eltern mit Anspruch auf künftiges Leadership ihrer Kinder von Zeit zu Zeit auch einen Spiegel vor. Was gar nicht so unmutig ist, weil man die Hand, die einen füttert ja bekanntlich nicht beißen sollte.
Titelbild: (c) Lorenz Seidler, flickr.com