Wo die Ideen blühen #13: Der schöne Wahnsinn

8. November 2017
1 Minute Lesezeit

San Servolo ist eine kleine Insel in der Lagune Venedigs. Im ersten Jahrtausend bewohnten Mönche den einsamen Fleck Erde inmitten der türkis-azurblauen Wellen. Rote Sandsteinbauten umrahmen Palmenhaine, von denen das emsige Treiben der La Serenissima wie ein ferner Traum erscheint. Der perfekte Ort für eine geschlossene psychiatrische Anstalt, so zumindest der Gedankengang Napoleons. So verschiffte man ab 1800 die von der Gesellschaft und der gemeinhin als Wirklichkeit dogmatisierten Weltsicht Ausgeschlossenen auf das abgelegene Paradies. Zeit vergeht, Wesen bleibt. Heute ist der Torbogen, worauf einst „Manicomio“ (Irrenhaus) stand, übermalt und mit „University“ überschrieben. Ein prophetisches Palimpsest oder doch nur ein Vaticinium ex Eventu? Die Universitäten Venedig, Barcelona, München und Durham gründeten ebendort eine Hochburg des Wissens, sehr schick und als Inbegriff der Schönen Künste inszeniert. Denken macht auch schön. Die Metaphorik, überwältigend. Ästhetik trifft das Erbe des Wahnsinns. Denken macht auch irre. Ein Konnex, der auf keinerlei Zusammenhängen beruht – aber wer braucht heute noch Zusammenhänge: es regiert das Gefühl. Und die Existenz vonUniversität auf den Ruinen einer Psychiatrie gibt Gefühl: sogar stimmiges Gefühl. Universität ist nämlich unter all den anderen jene Institution, die es zuverlässig schafft, den Ihrigen ein Gefühl vom Innen einer Irrenanstalt zu verleihen. Schon der grinsende Foucault konnte Bildungseinrichtungen und Psychiatrien eine gewisse Artverwandtschaft abgewinnen. Es bleibt mir schließlich die Schönheit der Lagune, und mit ihr ein Funke Wahrheit.

Titelbild: (c) Pexels

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