Musik ist eine Zeit- und Raumkunst. Von diesen Parametern ausgehend lässt sich ihre Funktion bestimmen. In einer ganz konkreten Zeit wird ein ganz konkreter Raum in Besitz genommen. Gelungene Musik besetzt diesen Raum, metaphorisch und tatsächlich. Wenn Musik überzeugt, dann nimmt sie sich den Raum, der ihr zusteht und geht mit dem Raum um, in dem sie sich gerade aufhält, in dem sie stattfindet. Das heißt aber nicht, dass sie keinen Raum mehr lässt und alles mit Noten füllen muss. Musik, die aufzwingt, ist nicht notwendigerweise überzeugend.
Überzeugender ist oft Musik, die sich der Leere und der Stille des Raumes und der Zeit bewusst ist. Wenn es keine Musik gibt, dann sind nur der Raum und die Zeit. Jede Entscheidung nicht zu schweigen und nicht leise zu sein, also die Stimme zu erheben und ein Instrument zu spielen, ist eine Entscheidung, die sich der Leere und der Stille bewusst sein muss.
Gibt es genügend Gründe, warum in einem ganz bestimmten Raum in einer ganz bestimmten Zeit etwas gesagt und gespielt werden muss? Oder ist es besser zu schweigen und sein Instrument gar nicht erst anzugreifen? Musik ist Selektion: Indem ich bestimmte Noten spiele und andere nicht, treffe ich Entscheidungen, schaffe ich Ausschlüsse. Die Stille ist der Zustand des Eins-Seins, in dem noch keine Entscheidung getroffen wurde. Alles ist prinzipiell noch möglich, alles noch unentschieden. Wenn ich spiele, erzeuge ich Klang.
Musik hat stets mit Akustik zu tun. Mehr sogar noch, wenn eine Konzertreihe in der Bäckerei Innsbruck diese zum Konzept erhebt. Meiner Meinung nach muss es in den Grundlagen definiert werden, was Akustik überhaupt ist. Akustik ist vereinfacht gesagt ganz einfach die Lehre vom Schall und seiner Ausbreitung. Wir haben es also in jedem Fall mit einer Situation zu tun, in der wir hören, wahrnehmen, rezipieren und perzipieren. Und in der Schall produziert wird.
(Mit so wenigen Mitteln kann akustische Musik überzeugen!)
Was ist gemeint, wenn von „Akustik“ die Rede ist?
MusikerInnen, die sich in die ästhetische Situation eines Konzertes begeben, sich also entschließen ihre Instrumente nicht stumm sein zu lassen und unter Umständen auch ihre Stimme zu erheben, verbreiten Schall in einem Raum, müssen daher die akustischen Gegebenheiten des Raumes mitdenken, damit sie zu einem optimalen und ästhetisch überzeugenden Ergebnis gelangen. Musik, die unbedacht und unreflektiert vorgeht, handelt gegen den Raum und weiß nichts so Recht damit anzufangen. Der Raum ist damit nicht eine Aspekt, der berücksichtigt und mit dem kreativ umgegangen wird, sondern er ist mehr ein zu akzeptierendes Hindernis. Die Ergebnisse sind meist wenig überzeugend.
Vom Begriff Akustik muss in diesem Fall auch einer Brücke hin zur akustischen Musik geschlagen werden, also Musik, die weitestgehend unverstärkt gespielt wird. Verstärkte Instrumente werden gegen unverstärkte Instrumente getauscht, womit der Resonanzkörper des Instrumentes, sagen wir der Gitarre, noch einmal eine Aufwertung erfährt. Ein Instrument mit Resonanzkörper klingt in einem Raum, ohne Verstärkung. Sowohl das Instrument als auch der Raum werden „natürlich“ bespielt. Es läge nahe, mit diesen Voraussetzungen kreativ umzugehen.
Das würde Fragen aufwerfen wie: Welches Instrument klingt wie, wenn es ganz unverstärkt gespielt wird? In welchen Raum kann es sich wie entfalten? Es würde auch klar zeigen, dass die akustische Gitarre nur ein Instrument von vielen ist. Es gibt auch noch Mandolinen, Banjos, Klaviere, Cellos, Geigen, Saxophone, Flöten, Klarinetten – und noch viele mehr. Eine Konzertreihe, die sich den Begriff „Akustik“ an die Fahne heftet muss auch nach den Möglichkeiten der Präparation z.B. einer Gitarre fragen.
Hier haben bereits kleine Eingriffe eine große musikalische Wirkung, wie zum Beispiel das Gitarrenspiel von Janet Feder zeigt, das auf den ersten Blick keine großen Abweichung von „konventionellem“ Gitarrenspiel zeigt, doch klangliche Irritationsmomente durch die Präparation der Gitarre einschleift.
Oder denken wir an Chris Thile, der sowohl klangliche als auch ästhetische Irritationsmomente etabliert, etwa wenn er J.S. Bach auf einer Mandoline intoniert. Mir fällt auch noch Bela Fleck oder Abigail Washburn ein, die mit ihren Banjos gekonnt zwischen Country, Jazz und experimenteller Musik oszillieren. Diese Reihe ließe sich fast endlos fortführen.
Worauf möchte ich aber hinaus? Darauf, dass ich von den meisten Konzerten mit dem Titel „Akustik“ in der Bäckerei Innsbruck (leider) enttäuscht worden bin. Ganz einfach deshalb, weil hier aus meiner Sicht viele entscheidende Fragen (noch) nicht gestellt worden sind. Was genau ist das Konzept? Handelt es sich um eine Notlösung, weil die Nachbarn nicht belästigt werden sollen und akustisch zu spielen somit also einfach nur leiser und weniger störend ist?
Handelt es sich um die Idee, dass jedem, der eine akustische Gitarre halten kann, ein Auftritt ermöglicht wird? Bekanntlich ist die Hürde sich eine Gitarre zu schnappen und dazu ein Liedchen zu trällern relativ gering. Oder handelt es sich doch bewusst um ein Konzept, das sich den ganzen Implikationen bewusst ist, die mit Akustik und akustischer Musik einhergeht? Geht es auch um das Ausloten der spielerischen und akustischen Möglichkeiten, die sich in einem ganz bestimmten Raum mit ganz bestimmten Instrumenten in einem ganz konkreten Zeitraum auftun?
Will es letzteres sein, also ein Konzept das ganz bewusst und reflektiert die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten akustischer Musik vorstellen möchten, dann ist die Bäckerei Innsbruck mit ihrer Reihe „Akustik“ diesen Beweis bisher schuldig geblieben. Es war vielmehr eine Aneinanderreihung von Musikerinnen und Musikern, die vom spielerischen und künstlerischen Niveau her stark schwankten.
Eben von einem avancierten Musiker, der sich seiner spielerischen und ästhetischen Möglichkeiten mit Raum, Akustik und Zeit überaus bewusst ist bis hin zu Musikern, die ihre selbst gezimmerten Lieder eher dilettantisch auf ihrer akustischen Gitarre daher trällerten. Allein schon von daher ist mir der sprichwörtliche rote Faden hier (noch) nicht aufgefallen.
Das alles hat für mich aber Potential. Ich mag die Idee und glaube, dass daraus noch was werden könnte. Vielleicht sind bisher die richtigen Fragen ganz einfach noch nicht gestellt worden. Ich bin gespannt und zuversichtlich.
„Akustik“ in der Bäckerei Innsbruck: Was ist und was noch sein könnte
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Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.