Mit zeitgenössischer Kultur gemeint ist in diesem Beitrag Kultur im engeren Sinn, die z.B. Literatur, Musik, Bildende Kunst, Theater, Architektur umfasst. Dringend fällig wäre eine flächendeckende Feldforschung in Tirol zu diesem Thema, um auch den Status quo festzustellen, zu analysieren und vergleichend mit anderen Bundesländern zu betrachten. Welche Entwicklungen gab es in den letzten Jahrzehnten, die als nachhaltig bezeichnet werden können?
Dass Innsbrucks Universität über keine Kunstfakultät verfügt, ist ein enormes Defizit. Welche positiven Auswirkungen auf das Land eine akademische Ausbildungsstätte vor Ort hat, sehen wir am Beispiel Architektur. Was die Realisierung qualitätsvoller moderner Architekturprojekte im öffentlichen oder privaten Auftragsbereich betrifft, wurde in unserem Bundesland in den letzten Jahrzehnten Beachtliches geleistet, wobei das internationale Architekturstudium in Tirol natürlich weit über unsere Grenzen hinaus wirkt. Diese Entwicklung in Richtung Moderne hat erfreulicherweise schon allgemein in den Köpfen Platz gefunden und fällt auch abseits der Landeshauptstadt und des sie umgebenden Speckgürtels vermehrt bei den Auftraggebern auf fruchtbaren Boden.
Leider kann diese Entwicklung bei der Rezeption zeitgenössischer Literatur, Musik, Kunst bei den BürgerInnen nicht mithalten. Aufgeschlossenheit, z.B. im Bereich der Bildenden Kunst, für Neues, Experimentelles, Kritisches ist heute kaum ausgeprägter vorhanden als vor 30 Jahren. Unverständnis und Nichtakzeptanz führen ausgerechnet im urbanen Raum (Innsbruck) sogar zur laufenden Beschädigung von zeitgenössischer kritischer (politischer) Kunst („GRÜSS GÖTTIN“-Schild) und sogar zur „Entsorgung“ einer (Bettler-)Installation in den Inn. Dies sind Auswüchse einer zunehmend in Erscheinung tretenden internationalen Entwicklung der sogenannten „Zensur von unten“, die mit der Moralkeule vorwiegend über die sozialen Medien (youtube, facebook, instagram) gesteuert wird und bereits weltweit Museen und KünstlerInnen aus allen Sparten zunehmend das Leben schwermacht.
Die wahren kulturellen Probleme der Landeshauptstadt sind jedoch ganz andere: Innsbruck hat innerhalb kurzer Zeit aus verschiedenen Gründen drei große etablierte Veranstaltungen – Tanzsommer, Festival der Träume, ART Kunstmesse und einen gerade für die Alternativszene wichtigen Veranstaltungsort, den Hafen, verloren. Eine dermaßen massive Ausdünnung des kulturellen Angebotes sollte unabhängig von den Ursachen im Rathaus, aber auch bei den BürgerInnen, Denkprozesse und Reaktionen in Gang setzen.
Seit den 1990er-Jahren gibt es in Tirol einen (fast) flächendeckenden Boom an Kulturinitiativen – die ersten entstanden in den 1970/80er-Jahren – die das Kulturleben mit frischem Wind, vollem Einsatz der jeweiligen Protagonisten, sowie Mut und Fantasie enorm bereichern. Über einen Zeitraum von ca. 10 Jahren habe ich viele Aktivitäten der Alternativkulturszene durch das Sammeln von Programmen und Zeitungsberichten dokumentiert und damit Wertvolles vor dem Vergessen gerettet. Ich habe diesen Aufwand betrieben, um für Forschung und Publikationen Quellen zu sichern. Im Rahmen meiner Kolumne werde ich regelmäßig über die Geschichte von Kulturinitiativen in Tirol berichten.
Was aber hat das Ende des Innsbrucker Tanzsommers oder des Hafens in den Köpfen der ehemaligen BesucherInnen ausgelöst? Nur kurzes Bedauern über den Verlust oder haben die langen Jahre des Bestehens ein Gefühl wachsen lassen, dass jetzt etwas fehlt, was unbedingt zum Leben gehören sollte?
Der Stellenwert sowie die Freiheit von Kultur und Kunst stehen immer in direktem Zusammenhang mit den Veränderungen und Umbrüchen in Politik und Gesellschaft. Welche Konsequenzen die derzeitigen Entwicklungen für unser Kulturleben haben werden, sind schwer abschätzbar.