Gemessen am durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen zählt Tirol zu den reichsten Regionen Europas. Auch wenn nicht alle in gleicher Weise davon profitieren, möchte man vielleicht wissen, wem das Land seinen Wohlstand verdankt.
In der öffentlichen Wahrnehmung gilt Tirol als Tourismusland schlechthin. Und die Zahlen scheinen diesem Eindruck auf den ersten Blick Recht zu geben. Obwohl das Land weniger als 10 Prozent der österreichischen Gesamtbevölkerung stellt, entfallen rund ein Drittel aller insgesamt über 150 Millionen Nächtigungen auf Tirol. Und doch darf dabei nicht vergessen werden, dass Tirol auch über eine überaus starke Industrie verfügt. Gemessen an der Zahl der Industriebeschäftigten pro 1.000 Einwohner lag Tirol hinter Vorarlberg, Oberösterreich und der Steiermark immerhin an der vierten Stelle aller Bundesländer. Dabei zeigt sich, dass die Industrie vor allem im Inntal zwischen Landeck und Kufstein angesiedelt ist, der Tourismus hingegen insbesondere in den Seitentälern und der Landeshauptstadt Innsbruck.
Fast alle, nämlich 45 der 50 Tourismusgemeinden mit den meisten Nächtigungen im Tourismusjahr 2018 finden sich in diesen Seitentälern. Sie lassen sich in fünf Großregionen unterteilen:
- Stanzertal, Paznauntal und oberes Gericht einschließlich des Kaunertales und der Sonnenterasse Ladis, Fiss, Serfaus,
- Pitztal, Ötztal und Stubaital,
- Zillertal einschließlich Gerlos, Alpbach und Wildschönau,
- Bezirk Kitzbühel und östlicher Teil des Bezirkes Kufstein,
- Achental und Seefelder Plateau.
In ihnen lag die Zahl der Nächtigungen pro Einwohner und Jahr zwischen knapp über 100 im nordöstlichen Tirol und rund 260 ganz im Westen des Landes, also deutlich über dem Wert von 65 für ganz Tirol. Für das Außerfern mit vier Tourismusgemeinden unter den Top 50 lassen sich 117, für Osttirol 43 und für Innsbruck lediglich 13 Nächtigungen pro Kopf und Jahr errechnen. Der trotz einer absoluten Nächtigungszahl von über 1,7 Millionen – nach Sölden der zweithöchste Wert des Landes – überaus niedrige Pro-Kopf-Wert für die Landeshauptstadt ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass sie als Verwaltungsmittelpunkt neben der Hotellerie noch viel mehr sonstige private und öffentliche Dienstleistungen aufzuweisen hat. Insgesamt entfielen auf die genannten Seitentäler nicht weniger als 75 Prozent aller Nächtigungen, obwohl in ihnen nur rund 28 Prozent der Tiroler Bevölkerung lebt. Im Außerfern lag der Anteil an den landesweiten Nächtigungen leicht über, in Osttirol leicht unter und in Innsbruck sogar deutlich unter ihren Anteilen an der Bevölkerung des Landes. Daraus lässt sich als erster Befund schließen, dass der Tourismus – direkt oder indirekt – nur für den kleineren Teil der Tiroler Gesamtbevölkerung–eine Rolle spielt.
So sehr der Tourismus die Seitentäler dominiert, so sehr konzentriert sich die Industrie auf das Inntal. Allein 36 der 50 Industrieunternehmen mit den meisten Mitarbeitern entfielen 2018 auf das Inntal. In Ihnen arbeiteten rund 75 Prozent aller in diesen Unternehmen Beschäftigten. Knapp 15 Prozent entfielen auf die sechs Unternehmen im Außerfern und Osttirol, nur etwa 10 Prozent hingegen auf die verbleibenden acht Unternehmen in den oben angeführten, vom Tourismus geprägten Seitentälern. Gleichzeitig lebten im Inntal samt den anliegenden Mittelgebirgsterrassen, aber ohne das vom Dienstleistungssektor bestimmte Innsbruck, rund 40 Prozent der Tiroler Bevölkerung. Und da auch das Außerfern und etwas weniger der Bezirk Lienz ähnlich stark von der Industrie geprägt waren, ergibt sich als Resümee all dieser Berechnungen, dass in Tirol – und zwar entgegen der anfänglich angesprochenen öffentlichen Wahrnehmung – mehr Menschen direkt und indirekt von der Industrie leben als vom Tourismus.
Für wen dies alles zu viele Zahlen sind, empfiehlt sich eine Fahrt durch das Land: Fabriken im Inntal, Hotelanlagen in den Seitentälern. Allerdings gibt es daneben auch viele Menschen, deren Arbeitsplatz nur wenig bis gar nicht mit Industrie oder Tourismus verbunden ist. Dass aber auch sie, soweit sie sich des modernen Wohlstandes erfreuen, diesen letztlich der Industrie verdanken, soll in einer weiteren Ausgabe des Alpenfeuilletons dargelegt werden.