Beyoncé hören ist nicht genug. Geäußert wurde das von mehreren Journalisten im Kontext der „Black Lives Matter“ Demonstrationen im deutschsprachigen Raum. Verständlich, wurde dort doch auch „Freedom“ von besagter Musikerin abgespielt. Für wenigen Minuten durfte man sich dadurch als weißer Mittelschicht-Angehöriger als Teil einer weltweiten Bewegung fühlen.
Besagter Vorwurf traf mich. Ein solcher Moment der Glückseligkeit und der Verbundenheit mit der Gesamtbewegung hätte auch mir unterlaufen können. Wenn ich denn überhaupt auf der Straße und bei den Demonstrationen gewesen wäre.
Im Rückschluss wäre ich dadurch in Bezug auf mögliche Heuchelei jedoch noch verdächtiger. Der Vorwurf wäre noch schärfer zu formulieren: Wie kann man Beyoncé hören, ihre feministischen Ansprüche goutieren, ihre Forderungen nach Black-Excellence unterstützen und zugleich kein sichtbares Zeichen auf der Straße setzen?
Ein Blick auf meine Playlist untermauert diese Problematik: Neben Beyoncé finden sich dort etwa auch Namen wie Solange, Chloe x Halle, Erykah Badu oder Kelela. Die Musik von schwarzen, emanzipierten und selbstbewussten Frauen begleitet mich schon seit Jahren.
„The most disrespected person in America is the black woman. The most unprotected person in America is the black woman. The most neglected person in America is the black woman“, sagte Malcolm X vor Jahrzehnten. Beyoncé zitiert diese Passage auf ihrem Album „Lemonade“.
Sie suggeriert damit, dass es gegenwärtig noch immer so ist. In ihrer Dokumentation „Homecoming“ spricht sie zudem davon, dass sie einen „safe space“ für schwarze Frauen erschaffen wollte, als sie die Show für ihren Coachella-Auftritt konzipierte. Ein Raum, in dem sich jede Frau in ihrer Individualität entfalten kann und keine Diskriminierung ihre Talente herunterspielt.
Es ist jedenfalls ein Faktum, dass derzeit unfassbar viel gute Musik von schwarzen Frauen aus den USA kommt. Diese Musik ist eindringlich, intensiv, verletzlich, emotional tiefgründig und hat sozialen Einfluss. Genau so, wie gute Popmusik sein muss und wie sie doch so selten produziert wird. Im Rahmen der Black-Lives-Matter Bewegung wird das Album „Ungodly Hour“ von Chloe x Halle zu Recht zum Album der Stunde.
Dabei ist das Album gar nicht unbedingt politisch. Behandelt werden überwiegend persönliche Befindlichkeiten von zwei jungen schwarzen Frauen. Indem sich diese aber überaus selbstbewusst äußern, die Tracks mitproduziert haben und künstlerisch auch sonst die Zügel in der Hand haben, ist es ein großartiges Dokument und Ausdruck von Black-Excellence. Und damit natürlich zugleich ein politisches Statement.
Trotz dieser musikalischen Vorlieben und trotz dieses Wissens war ich also nicht auf der Straße und habe kein Schild hochgehalten. Ganz einfach deshalb, weil ich nicht hinter allen Aspekten dieser Bewegung stehe. Polizeigewalt in den USA – und darüber hinaus – ist ein großes Problem. Ich glaube aber nicht daran, dass man das gesamte Polizei-System in Frage stellen, sondern reformieren und mit einer besseren Ausbildung versehen muss.
Ich glaube auch nicht daran, dass der Kapitalismus per se schuld an der sozialen Ungerechtigkeit in den USA ist. Er ist hier vielmehr pervertiert, der ursprüngliche mit ihm verbundene Gedanken nach der Belohnung von außergewöhnlichen Leistungen ist in den Hintergrund getreten.
Der Markt, auch der oft harte Musikmarkt, soll zu Höchstleistungen antreiben. Es geht nicht darum das System abzuschaffen, sondern dieses nach seinen Regeln und Vorstellungen zu gestalten. Das braucht viel harte Arbeit, Leistungsbereitschaft und Durchhaltevermögen.
Es fällt mir jedenfalls schwer, mir die hier genannten erfolgreichen schwarzen Frauen in einer sozialistischen Gesellschaft vorzustellen. Sie sind Teil der kapitalistischen Gesellschaft, arbeiten aber daran diese nach ihren Vorstellungen zu formen: Gerechter, ohne Rassismus, mit temporären „safe spaces“, in denen sie Kraft für den Kampf für Veränderungsprozesse finden können.
So dürfen die Proteste im Kontext von Black-Lives-Matter auch nicht Ausdruck der Verachtung von Leistung und kapitalistischen Errungenschaften sein. Die Wut darf sich nicht durch Plünderungen und Vernichtung von Geschäften und Geschäftsideen von kreativen, leistungsbereiten Menschen jedweder Hautfarbe ausdrücken.
Halten wir stattdessen das Prinzip der Leistung und des unternehmerischen Denkens hoch. Denken wir eine konservative, zugleich aber offene Gesellschaft, in der für jeden und jede Platz ist, nicht aber für radikale und zerstörerische Ideen und Haltungen. Hören wir, vor allem als Männer, Musik von Chloe x Halle oder Solange und üben uns dadurch in Empathie und Einfühlung in fremde Leben mit uns zum Teil fremden Problemen. Dann wäre eine von Verständnis getragene, vielfältige Gesellschaft tatsächlich möglich. Denkbar also, dass Beyoncé hören doch reichen könnte.