„Eselswunder“ von Joh. Mich. Strickner aus der Antoniuskirche in Rietz

Aus dem Leben der Tempelwächter

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6 Minuten Lesedauer

Wer wird etwas gegen „die Wissenschaft“ sagen? Zumal das bedeutendste „Kind“ unserer Zeit, die Greta aus Stockholm (Person des Jahres 2017), uns noch letztes Jahr ultimativ dazu aufgefordert hat „to listen to the scientists“. Wenn man es allgemein genug auffaßt, dann wird auch kein Mensch etwas dagegen haben, die Aussage ist dann aber zugleich ziemlich inhaltsleer, etwa so wie bei dem oft bemühten Satz aller Erwachsenenbildner, daß „Lesen bildet“ und „Bücher die Menschen zusammenbringen“. Da würde ich doch meinen, daß es sehr darauf ankommt, was in den Büchern drinnensteht, die da jemand liest. Es kann durchaus sein, daß das Lesen verbildet oder die Leute gegeneinander aufbringt. Liebe & Grießschmarrn für alle ist halt immer ein fernes, hehres Ideal.

So auch in Sachen „die Wissenschaft“. Wie wir spätestens seit Thomas Kuhns etwa 60 Jahre altem diesbezüglichem Buch wissen könnten, besteht selbige im großen und ganzen aus einem orthodoxen Betrieb, der sich damit beschäftigt, eine einmal für wahr erkannte Theorie unendliche Male zu bestätigen und jedes einzelne Faktum, das der herrschenden Lehrmeinung widerspricht, draußen zu halten, inklusive der Unglückseligen, die es wagen oder wagen könnten, eine neue Theorie zu vertreten, seien es nun junge Tupfer, große Autoritäten oder aber emeritierte solche. Beim derzeitigen Corona-Treiben kann man bilderbuchmäßig betrachten, wie das vor sich geht und welche wichtige Rolle die Massenmedien als tapfere Verfechter des ohnehin bereits Vorherrschenden einnehmen.

Da das früher übliche, probate Verbrennen der Ketzer auf öffentlichen Plätzen nicht mehr so üblich ist, muß man sich vorderhand mit, gerne elektronisch verstärkter, Diffamierung, auf englisch „character assassination“ behelfen. In dieser Abteilung können wir eine besonders eifrige Sorte von Leuten beobachten, für die ich die Bezeichnung „Tempelwächter“ vorschlage. Das sind durchaus anerkannte, geehrte und wohlbestallte Vertreter ihrer Zunft, die ihre Autorität dazu benützen, so ganz nebenbei, so als wäre auf dem Heimweg von einem feuchtfröhlichen Abend ganz plötzlich die Blase zu voll und man müßte schnell hinter einen Busch, einen der Ketzer oder eine Gruppierung von Abtrünnigen – kurz und herzhaft anzupinkeln. Der Zusammenhang zwischen dem Hauptthema und dem Pinkeln ist wie beim Heimweg und dem Busch ein durchaus zufälliger und randlicher, aber doch ist der Strahl gezielt und wegen des vielen Feuchtfröhlichen auch stark.

Als ein Beispiel unter zahllosen (da es mir kürzlich bei der Lektüre aufgestoßen) möge der anerkannte, geehrte und wohlbestallte Professor Doktor Kotrschal dienen, der es mit seiner verhaltensforscherischen Arbeit über die Wölfe bekanntlich zu allgemeiner und wohlverdienter Prominenz und Autorität im Lande gebracht hat. Nun spricht und schreibt er über die menschliche Natur im allgemeinen (Kurt Kotrschal, Sind wir Menschen noch zu retten? Gefahren und Chancen unserer Natur. Ein Plädoyer für die liberale Demokratie. Residenz Verlag, Wien, Salzburg, 2020), und da er uns die existentielle Krise ausmalt, vor der die Menschheit gerade steht (also Klimawandel, Bevölkerungsexplosion, Artensterben und die ganze Liste), geht ihm eine Sorte von Leuten besonders auf die Nerven. Das liest sich dann so: „‚Wohlfühlwissenschaftler‘ wie der US-amerikanisch-kanadische Experimentalpsychologe Steven Pinker, der schwedische Statistiker und Klimawandelleugner Ola Rosling oder der dänische Politologe Bjørn Lomborg – allesamt keine Biologen, rechnen uns vor, daß es den Leuten auf der Erde noch nie so gut ging wie heute.“ Greta von Stockholm würde sagen „How dare you?!“. Aber gut, man ist eben verschiedener Meinung. Doch dabei kann man es nicht belassen. Da ist jemand dem Allerheiligsten zu nahe gekommen! Da kann der Tempelwächter nicht anders, er muß seinen Tempelwächterprügel heben und dem Gewürm eine auf den Pelz brennen. So hat er seine Zugehörigkeit zu den Rechtgläubigen vor aller Augen unter Beweis gestellt. Mit dem, was diese Elenden sagen und mit welcher, vielleicht guten Begründung, kann da nicht weiter kümmern. Und alles keine Biologen, und einer davon gar ein „Klimawandelleugner“! Das klingt so wohlig nach „Auschwitzleugner“, und damit ist die Sache aber wirklich erledigt.

PS. Nachdem ich von Ola Rosling bisher nur wußte, daß er zusammen mit seiner Frau und seinem Vater das beachtenswerte Buch „Factfulness“ (vgl. Alpenfeuilleton 29.5.2020) geschrieben hat, habe ich ein bißchen herumgegoogelt, Hinweis auf O.R. als „Klimawandelleugner“ fand sich nur ein Zitat, nämlich das obige von Prof. Kotrschal. Eine interessante Geschichte zur Verbindung aus Klimawandel und Angstmachen findet man auf EIKE.

Walter Klier, geb. 1955 in Innsbruck, lebt in Innsbruck und Rum. Schriftsteller und Maler.
Belletristik, Essays, Literaturkritik, Übersetzungen, Sachbücher. Mitherausgeber der Zeitschrift "Gegenwart" (1989—1997, mit Stefanie Holzer). Kommentare für die Tiroler Tageszeitung 2002–2019.
Zahlreiche Buchveröffentlichungen, u.a.: Grüne Zeiten. Roman (1998/Taschenbuch 2014), Leutnant Pepi zieht in den Krieg. Das Tagebuch des Josef Prochaska. Roman, 2008. Taschenbuch 2014). Der längste Sommer. Eine Erinnerung. 2013.
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