Die Kunst der Verharmlosung

Oder. Wie man in allen Situationen seine Unschuld wahrt.

2 Minuten Lesedauer
Start

Wir sind ein naives Völkchen. Das wurde uns Österreichern 1945 sogar gesamtstaatlich bestätigt. Vom Bösen in der Welt wissen wir nichts, deshalb überfällt es uns manchmal ganz unvorbereitet. Wie im armen Ischgl. Und deshalb besitzen wir auch gar nicht die sprachlichen Mittel, das Böse richtig zu benennen.

So wird jetzt vom Arbeitsministerium „gemeinsames Trinken aus Gefäßen und gemeinsamer Gebrauch von Strohhalmen“ als Beispiel für leichtfertiges Verhalten bei Covid-19 angeführt. Kann wirklich derart Unschuldiges zum Entgeltentfall bei einer Urlaubserkrankung führen? Das beim Ischgler Après-Ski gespielte Beer-Pong * wird in dieser Formulierung jedenfalls elegant umgangen. Denn es können und sollen die Tiroler von diesem verderblichen Virenschleuder-Spiel am besten gar nichts wissen. Deshalb wurde es in der hiesigen Presse ja auch niemals erwähnt. Man will doch unser Völkchen nicht moralisch verderben. Dass Bilder und Videos davon international und auch von Vorarlberger Nachrichten bis Standard kursierten, war nichts als böse Lügenpresse. Und wovon man in Tirol offiziell nichts weiß, davon soll man bekanntlich schweigen.

Das erinnert mich auch wieder an den unsäglichen Skandal, der vor nicht allzu langer Zeit durch Verwendung eines preisgekrönten Aufklärungsbuches an Tiroler Schulen entfacht wurde. Durch das Aussprechen allgemein gebräuchlicher Wörter für den Tatbestand des Geschlechtsverkehrs wurden ein paar unschuldige Eltern derart verstört, dass seither wieder die Biologielehrer die vorgeschriebene Aufklärung machen müssen, bevorzugt mit Bienchen und Blümchen. Dies das Maximum, das sensible Tiroler Unschuldslämmer aushalten.

Und wenn man es in Österreich für normal hält, einem Beamten oder Politiker einmal eine kleine Spende, natürlich über Umwege, zukommen zu lassen, dann ist das bloß eine Zuwendung. Niemals Korruption. Und so bleiben wir alle unschuldig, egal wie viele Köfferchen oder Sporttaschen irgendwo übergeben werden. Klartext ist hierzulande unerwünscht. Bei uns heißt es ja auch „Anfüttern“ und schließlich haben sogar Beamte und Politiker das Recht auf Nahrung, oder? **

So bleiben wir auf ewig sprachlich wie geistig die Insel der seligen Unschuldslämmer. Glückliches Österreich! Heiliges Tirol!

* Unofficial Networks, zuletzt abgerufen 29.6.2020

**Ö1, zuletzt abgerufen 29.6.2020

Geboren 1954 in Lustenau. Studium der Anglistik und Germanistik in Innsbruck Innsbruck. Lebt in Sistrans. Inzwischen pensionierte Erwachsenenbildnerin. Tätig in der Flüchtlingsbetreuung. Mitglied bei der Grazer Autorinnen und Autorenversammlung Tirol, der IG Autorinnen Autoren Tirol und beim Vorarlberger AutorInnenverband. Bisher 13 Buchveröffentlichungen.

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.