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Die Grenze

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Grenze auf. Grenze zu. Mal Staatsgrenzen. Mal Regionalgrenzen. Auch mal Grenzen des Erträglichen. Die werden auf und zu gemacht nach Belieben, auch mal verschoben oder ganz aufgehoben, um dann wieder neu eingeführt zu werden. Wie beim privaten Gartenzaun. Man will jederzeit beim Gattertürl hinausgehen und andererseits absperren können, wenn einem das Gesicht von dem da draußen grad nicht passt. Aber so einfach wie beim Gartentürl ist es global halt leider nicht.

Sehr alte Jahrgänge erinnern sich an die Grenze als den Ort, um dessentwegen Menschen in den Krieg geschickt und umgebracht wurden. Die Menschen, die jenseits der Grenze lebten, waren gefährliche Walsche, Tschuschen oder was immer und auf jeden Fall zu meiden.

Mittlere Jahrgänge erinnern sich an die Grenze als einen Ort, über den man lustvoll oder ängstlich Wein und Lederwaren aus Italien, Elektrogeräte aus Deutschland, Zucker und Schokolade aus der Schweiz ins Land schmuggelte.  „Führen Sie Waren mit, die zu verzollen sind?“, die Standardfrage, die Passkontrolle vernachlässigbare Nebensache.  Die diente bestenfalls dem Nachweis, dass man unter das Reglement des „Großen Grenzverkehrs“ fiel und deshalb mehr Liter Wein als im „Kleinen Grenzverkehr“ einführen durfte. Die ausländischen Waren stellten die Gefahr dar, nicht die Menschen.

Für unsere jüngeren Jahrgänge schließlich bedeuteten die Grenzen innerhalb der EU nur mehr ein schönes Straßenschild oder das Signal für Urlaub. Jenseits der Grenze lag das ein bisschen Andere, auf das man neugierig war.  Nichts Bedrohliches mehr! Freier Personen- und Warenverkehr die Versprechen, die uns (vielleicht als einziges) für die EU begeistern konnten. 

Und dann das!

Eigentlich begann es schon vor Jahren. Terroristen! Die könnten in Scharen genau zu uns kommen wollen! Die sind ja niemals Österreicher. Sowas brütet nur das Ausland aus. Dann die Flüchtlinge! Die sind per definitionem schon niemals Österreicher und deshalb schlechte Menschen. Und plötzlich patrouillierten wieder Zollbeamte und sogar waffenbewehrte Polizisten, wie man sie bestenfalls noch vom Checkpoint Charly in vager Erinnerung hatte. Plötzlich waren wieder Menschen, und da natürlich immer und ausschließlich nur die Ausländer, das Gefährliche. Bevorzugt solche mit bestimmten Hauttönungen. Warenlieferungen durften dagegen ungesehen durch. Die waren jetzt völlig ungefährlich. Die wollte man ja diesseits und jenseits kaufen und verkaufen. Immerhin durften auch EU-Bürger noch passieren. Wenn sie die richtige Hautfarbe hatten. Die sollten schließlich überall arbeiten und konsumieren können.

Und dann auch noch das! Corona!

Auf einmal wurde wieder jeder von jenseits der Staatsgrenze als Gefahr eingestuft. Sogar der EU-Bürger mit heller Hautfarbe. Ein Bösewicht, ein potenzieller Virusträger, so einen darf man auf keinen Fall hereinlassen! Er bedroht unsere Sicherheit! Der bringt uns Österreicher womöglich um! Und jenseits unserer Grenzen waren vice versa wir die Bösewichte! Wir harmlosen Österreicher! Eine Frechheit, so etwas zu behaupten!  Und wieder standen nun Polizisten mit Waffen an den Grenzen und nahmen diesmal uns alle ins Visier. Es existierten, wie in ganz, ganz alten Zeiten, wieder zwei getrennte Welten: ein sicheres Hier und ein gefährliches Drüben. Nur die Waren durften immer noch überall durch, wenn sie es denn schafften. Die waren ja harmlos. Vielleicht hafteten ihnen auch ein paar Viren an, aber man wollte schließlich immer noch diesseits und jenseits der Grenze produzieren und konsumieren.

Und dann kam der Sommer und es fehlten plötzlich überall die billigen Feldarbeiter, die Pflegerinnen, die Sub-Sub-Sub-Arbeiter und – welch ein Graus!  — auch die Touristen! Hoppala! Darauf hatte man bei den Grenzschließungen ganz vergessen! Die armen Teufel, die waren leichter zu handhaben: Sie   wurden nach mühsamen Verhandlungen diesseits und jenseits durchgetestet und in Quarantäne oder zurück geschickt. Bis dann ….   Ja, wir wissen eh. Schlechte Wohn- und Arbeitsverhältnisse. Aber einer muss das Virus doch sicher über die Grenze eingeschleppt haben?
Übrig bleibt das Problem mit der Hotellerie. Ob die Gäste oder die Angestellten die Virusträger sind? Jedenfalls herrscht überall das große Feilschen. Wer soll wo in Urlaub geschickt oder vom Urlaub anderswo abgeschreckt werden?  Sicher ist man schließlich nur daheim. Und daheim ist, so sagt man, nur innerhalb der eigenen Staatsgrenzen.  In Bayern und Tirol, zum Beispiel, da feiert das Virus jeweils ein paar Kilometer weiter hinter der Grenze seine lustigen Urständ!  Andererseits ist zu bedenken: Wohlhabende Touristen tragen im Gegensatz zu den Arbeitern vielleicht gar keine Viren, sondern nur ihr Geld über die Grenze, die sollen natürlich ohne große Hindernisse passieren dürfen. Aber wie kann man bewerkstelligen, dass Touristen zwar herkommen, aber nicht woanders hinfahren? Und was, wenn einer doch Viren hereinbringt, ein womöglich nicht so lukrativer Gast, und damit die anderen, geberfreudigeren Gäste abschreckt? Könnte man vielleicht eine Untergrenze für die Deviseneinfuhr einführen? Das immerhin wäre noch eine Möglichkeit, gab´s seit langem nicht mehr. Könnte man eigentlich mal wieder …

Fazit: Grenzen sind völlig willkürliche Setzungen, die, diesseits wie jenseits, eigentlich allen schaden, die aber irgendeinem Einzelnen glauben zu nützen, der uns dann einredet, sie seien genau an dieser Stelle und genau jetzt notwendigerweise zu errichten, zu öffnen oder zu schließen.

  • P.S.: Eine Film-Empfehlung zur weiteren unterhaltsamen Veranschaulichung der Absurdität von Grenzen: „Smuggling Hendrix“ von Marios Piperides

Geboren 1954 in Lustenau. Studium der Anglistik und Germanistik in Innsbruck Innsbruck. Lebt in Sistrans. Inzwischen pensionierte Erwachsenenbildnerin. Tätig in der Flüchtlingsbetreuung. Mitglied bei der Grazer Autorinnen und Autorenversammlung Tirol, der IG Autorinnen Autoren Tirol und beim Vorarlberger AutorInnenverband. Bisher 13 Buchveröffentlichungen.

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