Der alte Mann saß irgendwo in ländlichen Italien am Straßenrand. Alleine. Sein Gesicht fahl, ledrig und zerklüftet. Dunkle Ringe unter den Augen. Ausdruck einer geschundenen, traurigen Seele. Kurz gesagt, ein Mensch, der einen zum Anhalten bringt.
Er erzählte uns von seinen drei Kindern, die allesamt vom Land in die Stadt gezogen waren. Der Älteste nach Mailand. Die Mittlere nach Rom. Und der Jüngste gar nach Berlin. Alle haben ein Studium abgeschlossen und direkt im Anschluss in großen Firmen angefangen zu arbeiten. Alle irgendetwas mit Computern. So genau hatte er das nie verstanden.
Die beiden Älteren hatten sich nie für den elterlichen Betrieb interessiert. Bis aus Trauben Landweine, und aus Oliven gutes Öl wird, ist es ein langer, entbehrlicher und harter Weg. Der Jüngste hatte die Leidenschaft geerbt, die schon sein Urgroßvater, sein Großvater und sein Vater im Herzen trugen. Die Passion dafür, in und mit der Natur zu arbeiten.
Fabrizzio, so hieß der jüngste Sohn, konnte gerade stehen, da begleitete er den Vater schon in die elterlichen Weinberge und Olivenhaine. Zum eigenen Vergnügen und sehr zur Freude des Vaters. Die Begeisterung, die das Kind auszustrahlen vermochte, war ansteckend und erleichterte den Alltag.
Der Vater, so erzählt er uns, war ein stolzer Vater, der seinen jüngsten Sohn schon in seine Fußstapfen treten sah. Alles lief gut. Bis zur Pubertät. Die älteren Geschwister hatten den Hof schon längst verlassen, um ihr Studium aufzunehmen. Fabrizzio lebte noch zuhause und hatte große Freude daran zur Hand zu gehen und in der elterlichen Osteria zu kochen, zu servieren und zu später Stunde gemeinsam mit den Gästen ein Lied anzustimmen. Alle liebten den Jungen. Die Eltern, die Einheimischen und die Touristen.
Doch dann kam sie, die Pubertät und mit ihr die erste Freundin. Fabrizzio hatte plötzlich andere Interessen. Reisen. Kino. Freunde treffen. Urlaub.
„Ich habe ihm seine Freundin verboten, Urlaub verboten, seine Freunde verboten. Ich habe ihn dazu ermahnt den Fokus nicht zu verlieren. Ich wollte, dass er die Arbeit so sehr liebt wie ich, bedingungslos. Ich dachte, nur so schafft er es. Wer sollte den Hof übernehmen, wenn mich einmal die Kraft verlässt? Mein Sohn hat mehrmals mir erklärt, dass er mehr von der Welt sehen und unbedingt Ingenieur werden wolle. Er bat mich, ihn nicht zu erdrücken. Ich habe ihn einen Dummkopf genannt. Ohne Druck entsteht nichts. Kein Olivenöl. Kein Wein. Kein Nachfolger. Ich habe ihm die Freude genommen. Ich habe ihn verjagt.“
Heute, so erzählt er uns, existieren Hof und Osteria nicht mehr. Nicht rentabel. Vor zehn Jahren waren die Eltern dazu gezwungen, ihn zu verkaufen. Jetzt steht dort ein Luxushotel. Der alte Mann arbeitete mehrere Jahre als Automechaniker, bis der Rücken nicht mehr mitspielte. Seine Kinder sieht er nur noch an Weihnachten. „Ich habe mir das alles anders vorgestellt. Fabrizzio hatte das Potential, um unseren Hof zu retten. Es tut mir leid“, sagt er und schließt erschöpft die Augen.
Das Gespräch ist beendet. Wir fahren weiter.