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Es muss etwas geschehen

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Unversehens sind wir heuer im Frühling ins Zeitalter des »Coronismus« eingetreten und vieles, was vorher ganz normal zu unserem Leben gehört hat, gilt nun als leichtsinnig, unerhört, ja ungehörig und ist regelrecht verboten. Die Polizei kontrolliert, ob wir uns wohlverhalten. Und wo die Polizei keine Kompetenz oder bloß keine Zeit hat, findet sich allemal ein wohlmeinender Nachbar, Passant oder sonst jemand, der einen auf Mängel im Verhalten hinweist. Jeder kann etwas bei der Durchsetzung der neuen Lebensform beitragen, nicht wahr.

Jeder muss eine Methode finden, sich mit dieser offenbar auf Dauer angelegten Lebensweise anzufreunden. Manchen fällt das leicht, freudig reiben sie die Ellenbogen aneinander und halten Abstand. Ich dagegen werde das merkwürdige Gefühl nicht los, mir selber von oben zuzuschauen, wie ich etwas tue, was mir ein unbekannter Regisseur aufzwingt, als ob ich mit versteckter Kamera gefilmt würde. Nur springt schon monatelang niemand lachend aus dem Gebüsch und sagt mir, dass ich ein Dummerchen bin, wenn ich mir mehrmals täglich die Hände desinfiziere und mir so langsam ein Ekzem züchte.

Und je länger dieser ganze Vorgang anhält, desto merkwürdiger scheint mir, dass manche Freunde und Bekannte mir in meinem doch schon fortgeschrittenem Alter erzieherisch und mit vielen guten Worten beispringen. Sie begrüßen die neue Lebensform etwa damit, dass sie angeben, ohnehin froh zu sein, niemanden mehr umarmen oder – horribile dictu! – die Hand geben zu müssen. Das Konzert-Abo kann man nun auch getrost kündigen. Man muss keine Rücksichten mehr auf seine bürgerliche Existenz nehmen. Damit kann ich mich zur Not anfreunden, es muss ja nicht jeder ins Konzert. Unbegreiflich finde ich allerdings, dass sich kaum jemand um die wirtschaftliche Seite dieses Experiments mit offenem Ausgang Gedanken macht. Seit wann wächst das Geld auf den Bäumen?

Die Temperaturen sind gefallen, nun dämmert offenbar manchen, was es bedeutet, wenn wir Tiroler die Pisten im Winter für uns allein haben. Wie es aussieht, werden wir auch genug Schnee haben. Mir ist, das gestehe ich gern, deswegen viel mulmiger zu Mute als wegen des Virus. Im Sommer hätte man gegensteuern müssen, nämlich gegen die Angst. Angst ist nicht ratz-fatz mit Argumenten aufzulösen. Aber statt Vertrauen aufzubauen und sachliche Information über das gesicherte Wissen und weniger über das mögliche Desaster zu verbreiten, haben wir uns mit Horror-Meldungen aus den USA und Brasilien die Zeit vertrieben. Das wohlig gruselige Motto lautete leicht abgewandelt: Bald wird jeder einen Brieffreund haben, der in den USA, Brasilien, Indien und sonstwo gestorben ist.

Wenn ich zu Hause in meinem Garten und meinem Büro bin, bemerke ich das neue Leben nicht. Wenn ich in der Stadt andere Menschen treffe, wird das schon schwieriger. Kürzlich war ich in der Volkshochschule in meinem Yoga-Kurs. Ich und zwölf weitere Damen und ein Herr besuchen diesen Kurs schon seit vielen Jahren. Aus Sicherheitsgründen sind nun nur mehr die Hälfte der Teilnehmer zugelassen. Alle sieben betraten den Raum und ihre Matte mit Maske. Am Ende waren wir aufgefordert, unsere Matten zu desinfizieren. Was, bitte, ist die wissenschaftliche Erklärung für diese Maßnahme? Ich fürchte, es gibt keine. Wir desinfizieren, weil, wie Heinrich Böll schon wusste, etwas geschehen muss. Oder meint wirklich jemand, dass ich oder ein wie immer phantasierter »Superspreader« Viren über die Haut ausscheidet? Man muss versuchen, positiv zu denken: Vielleicht verschwindet ja der ohnehin strenge Geruch nach Zehenkäse mit der Zeit…

Es ist mittlerweile egal, wer was warum sagt, der Corona-Zug fährt und zwangsläufig fahren alle mit. Oder kümmert es irgendjemanden in der Reihe der Verantwortungsträger, dass etwa die oberösterreichische Ärztekammer verlautbart: Wir würden lernen müssen, mit diesem Virus zu leben. Es habe keinen Sinn, wahllos zu testen. Positiv Getestete seien nicht zwingend krank und auch nicht zwingend ansteckend.

Ärzte und Kämmerer können sagen, was sie wollen. Seit der Ankündigung, dass bald jeder jemanden kennen würde, der …, hört niemand mehr zu. Es ist, als ob der Mund-Nasen-Schutz den Hörgang verlegt hätte. Das Zuhören hört sich eben auf, wenn man Angst hat. Das Gehorchen funktioniert dafür umso besser.

Stefanie Holzer. Schriftstellerin, Gärtnerin und Jin-Shin-Jyutsu-Praktikerin.
Glossen und Rezensionen für das EXTRA der Wiener Zeitung. Kolumnen für die Tiroler Tageszeitung (2003 – 2019), Mitherausgeberin der Kulturzeitschrift »GEGENWART« (1989 bis 1997). Zuletzt erschienen das Sachbuch »Wer bitte passt auf meine Kinder auf?« und der felin-
autobiographische Roman »Franz Ferdinand. Ein Katzenleben« - beide bei Limbus, Innsbruck.

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