Eben dies wünschte mir einer meiner anglophonen Bekannten zu Weihnachten: „Happy Brexmas!“
Englischer Humor.
Wie die allermeisten Menschen meiner britischen Verwandt- oder Bekanntschaft ist er das, was man als remainer bezeichnet: also jemand, der bei der Volksabstimmung 2016 für den Verbleib in der Europäischen Union gestimmt hat. Dass ich fast ausschließlich solche Menschen kenne, ist kein Zufall. Die Einstellung zur EU hängt stark von sozialen Faktoren ab, ebenso von regionalen.
Aber darüber ist in den letzten Jahren ausführlich, vielleicht sogar schon erschöpfend geschrieben worden. Inzwischen haben wir’s mit vollzogenen Tatsachen zu tun. Und da stellt sich eine neue Frage: Wie wird sich dieser Brexit wohl konkret auswirken?
Zwei Schulen stehen sich diesbezüglich in der britischen Politik gegenüber. Die eine, selbstsicher vertreten von Boris Johnson himself, von prominenten Kabinettsmitgliedern sowie einem Kreis strammer Tories, sieht Großbritannien befreit von den „Fesseln“ der Europäischen Union (der Ausdruck ist tatsächlich gefallen). Das Vereinigte Königreich habe endlich seine Souveränität zurück erlangt, es könne nun handeln wie es wolle und mit wem es wolle, da winke eine goldene Zukunft, endlich würden die herrlichen Zeiten von früher mit ihrem Wohlstand, ihrem nationalen Stolzwiederkehren. Welche Zeiten da genau gemeint sind, das wurde bisher allerdings nicht gesagt. Sunlit uplands hat Jacob Rees-Mogg, enger Vertrauter von Boris Johnson, im House of Commons versprochen: „lichte Höhen“. (Es scheint ihm nicht bewusst zu sein, dass es sich um eine ausgediente Sowjet-Parole handelt.)
Auf der anderen Seite waren und sind sich Experten aller möglichen Provenienz darin einig, dass der Brexit dem Vereinigten Königreich wirtschaftliche Nachteile bringen werde. Nur über ihre Dimension wird noch diskutiert. Und die „Fesseln“ der EU, die erweisen sich als billiger Propaganda-Schmäh. Ich hab’ das selbst miterlebt – oder besser: mitgehört, im Radio –, und vor etwa einem Jahr hat der Schriftsteller Ian McEwan diese Masche im Guardian empört angeprangert:
Johnson habe den Briten nach dem Brexit eine bessere Sozialpolitik versprochen, der Norden Englands werde endlich besser unterstützt werden, neue Technologien würden das Land zum Blühen bringen. Bloß – so McEwan – wäre kein einziges dieser Vorhaben von der EU behindert worden, sofern es konservative Regierungen ab 2010 ernsthaft hätten betreiben wollen.
Was werden die Briten machen, wenn sie in Brüssel keine Sündenböcke mehr haben?
Aber wie wird’s nun wirklich weitergehen? Welche der beiden Prognosen wird sich als richtig erweisen? Immerhin treten jene mit der rosigen Sicht der Zukunft derart selbstsicher auf, derart unbeirrt, dass sich der Laie kein definitives Urteil zutraut. Da müssen wir also weiter warten. Wenigstens haben wir es nun nicht mehr mit Spekulationen zu tun, sondern mit der Wirklichkeit. Wer Recht hat, das sollte sich über kurz oder lang anhand der Wirtschafts- und Arbeitsmarktdaten erweisen. Das Nationalgefühl, welches dabei möglicherweise ramponiert wird, das wollen wir vorläufig außer Acht lassen.
Wir am Kontinent können uns in dieser Hinsicht zurück lehnen und beobachten. Meine englischen Freunde werden das nicht so entspannt sehen, die sind direkt betroffen: Arbeitsplätze, Inflation – man kennt das.
Happy Brexmas!
Jacob Rees-Mogg, “‘Broad, sunlit uplands’ await the UK”,
Ian McEwan, “Brexit, the most pointless, masochistic ambition in our country’s history, is done”, Guardian, 1 February 2020