Es ist schon einige Zeit her – vor Corona! –, da hatte ich Gelegenheit, mit einer Lektorin am Institut für Musikwissenschaft hier in Innsbruck zu sprechen. Im vorangegangenen Semester, so erzählte sie mir, habe sie ein Seminar über „Shakespeare in der Musik des 20. Jahrhunderts“ gehalten. Aber die Studenten hätten mit diesem Shakespeare nicht viel anfangen können: Wer ist das? Irgend so eine berühmte Persönlichkeit, oder?
Die Schuld für derlei Missstände schiebt man sofort den Jugendlichen von heute in die Schuhe: Das Handy, das Internet; die können den Blick gar nicht mehr vom Smartphone nehmen, total abhängig.
Mag ja sein. Aber meiner Erfahrung nach waren die Jugendlichen, mit denen ich’s während meines Berufslebens zu tun hatte, um nichts anders als wir selbst, 50 Jahre vorher. Im Schnitt zumindest. Wir waren genau so faul, klar, genau so überheblich und kaltschnäuzig, gleichzeitig aber auch genau so dankbar, sobald sich ein Erwachsener die Mühe nahm, ehrlich mit uns zu reden, uns was zu erzählen, zu erklären – uns etwas beizubringen.
Wenn sich seitdem etwas geändert hat, dann ist das die Welt, die wir uns geschaffen haben, oder die wir doch wenigstens hinnehmen. Die wir den jungen Menschen zumuten. Und wenn schon irgendwen Schuld trifft, dann sind das die Erziehenden, Lehrer ebenso wie Eltern. Da liegt der Hund begraben. Da ist nämlich etwas ganz Fundamentales passiert.
Ausnahmsweise brauche ich die Behauptung nicht mit meinen eigenen Eindrücken zu untermauern. Ausnahmsweise kann ich einen Zeugen aufrufen: In seinem Roman A Week in December lässt der Autor Sebastian Faulks einen seiner Charaktere erklären, woher dessen – anscheinend so mühelose – Bildung stammt.
Ich hatte vermutlich Glück, weil ich zu einer Zeit in die Schule ging, als Lehrer immer noch glaubten, Kinder könnten mit Wissen etwas anfangen. Sie haben uns vertraut. Dann kam eine Zeit, als sie entdeckten, dass nicht jedes Kind in der Klasse solche Dinge verstehen oder sich merken kann, und deshalb beschlossen sie, ihnen nicht mehr so viel beizubringen, weil’s nicht fair war gegenüber den weniger guten. Also haben sie Wissen zurückgehalten. Und dann, so nehme ich an, kamen bereits die nächsten Lehrer, die hatten nicht einmal mehr ein Wissen, das sie hätten zurückhalten können.
Das deckt sich auffallend genau mit jener Erfahrung, die ich selbst in den letzten zehn Jahren meines Berufslebens machen musste. Und unter der ich gehörig litt.
Kurz und prägnant gesagt: Was da abhanden kam, das war der Wille zum Unterrichten. Zum Lehren.
Zu einem Gutteil geht das Fiasko natürlich auf die derzeit aktuelle Pädagogik zurück. Weswegen ich besagte Lektorin gerne an ihre eigenen Kollegen und Kolleginnen am Institut für Erziehungswissenschaft verwiesen hätte. Aber selbst die steuern letztlich bloß die theoretische Rechtfertigung bei (obwohl das schon schlimm genug ist). An der Universität ganz allgemein, in der akademischen Sphäre – was zählt denn da? Die Vorlesung? Oh nein: Da zählen Projekte, Drittmittel, Veröffentlichungen, peer reviews (inzwischen elektronisch erfasst und automatisch ausgewertet). Die Lehre kommt, wenn überhaupt, unter „ferner liefen“.
Soll man sich da wundern, wenn’s an den Schulen noch viel schlimmer ist? Dort geht’s nur noch um die Unterhaltung: edutainment, wie’s so ein Progressiver einmal auf den Punkt gebracht hat (und er meinte das positiv). Der Mann war – ja, was wohl? – der Mann war in der Lehrerausbildung tätig, Didaktik für Lehramtsstudenten an der Uni.
Und so ist’s tatsächlich kein Wunder, wenn österreichische Maturanten im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts nichts mehr mit Shakespeare anfangen können, nichts von ihm kennen. Auch wenn’s ältere Mitbürger und Mitbürgerinnen kaum zu fassen vermögen. – –
PS: Wenn wir schon von Bildung reden – was fällt Ihnen spontan zum Thema „Shakespeare in der Musik des 20. Jahrhunderts“ ein? Also mir ehrlich gestanden bloß zwei Beispiele: Kiss Me Kate, das Cole Porter-Musical frei nach The Taming of the Shrew (Der Widerspenstigen Zähmung) sowie Leonard Bernsteins West Side Story nach Romeo and Juliet. Womit mein Niveau offen und ungeschminkt zutage liegt: nicht sonderlich sophisticated, bestenfalls middlebrow.
Sebastian Faulks, A Week in December (London: Vintage, 2010), pp. 305–6. Meine Übersetzung.