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World-Beating

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Der britische Bildungsminister Gavin Williamson hat in einem Fernsehinterview damit geprahlt, dass britische Bürger als erste in der Welt in den Genuss einer Corona-Impfung gekommen seien.

Und warum?

Na ja, meinte er, wir haben einfach die besten Wissenschaftler und die beste Aufsichtsbehörde. Viel besser als jene in Frankreich, in Belgien oder in den Vereinigten Staaten. Und das, so setzte er hinzu, überrasche ihn nicht, denn Großbritannien sei einfach ein besseres Land als jedes einzelne von denen.

Falls Sie nicht glauben, ein Regierungsmitglied in einem zivilisierten westlichen Staat könne so was von sich geben, hier das Original: „Well I just reckon we’ve got the very best people in this country and we’ve obviously got the best medical regulators. Much better than the French have, much better than the Belgians have, much better than the Americans have. That doesn’t surprise me at all because we’re a much better country than every single one of them, aren’t we.“

Hat er das ernst gemeint?

Ich neige dazu, selbiges anzunehmen. Erstens dürfte subtiler Humor nicht gerade eine Stärke der derzeitigen Regierungsmannschaft um Boris Johnson darstellen. Zweitens scheinen ihm die Ereignisse recht zu geben. Bei der Beschaffung und Verteilung von Corona-Impfstoffen hat sich die EU wahrlich nicht mit Ruhm beckleckert, das Vereinigte Königreich war schneller, wohl auch geschickter.

Aber heißt das wirklich, die Briten seien insgesamt besser? Einfach so? Ich beobachte britische Angelegenheiten nun seit fast 50 Jahren und ich darf Ihnen versichern: Eine ungetrübte Erfolgsgeschichte war das nicht!

Trotzdem ist der Herr nicht allein mit seinen Ansichten. Wir erinnern uns, wie der gegenwärtige Premierminister Boris Johnson höchstpersönlich mit einem world-beating Track-and-Trace-System geprahlt hat. Inzwischen wissen wir, dass das Vereinigte Königreich eher von der Welt geschlagen wurde, was die Bekämpfung der Pandemie betrifft – beaten by the world (fast doppelt so viele Corona-Tote pro 100.000 EW wie Österreich).

Ich beobachte den Trend zur nationalen Angeberei nun schon seit gut zwanzig Jahren. Das erste Mal kam er mir anlässlich eines geführten Stadtrundganges zu Bewusstsein, bei welchem der guide es nicht lassen konnte, mit the oldest this und the largest that zu prahlen. Mich berührte das peinlich, weil es so un-britisch war. Früher wäre es tief unter der Würde eines Briten gelegen, derlei von sich zu geben. Es verstand sich von selbst.

Tony Blair beschloss im Jahre 2007 seine Abschiedsrede als Premierminister mit den Sätzen: „The British are special. The world knows it. In our innermost thoughts we know it. This is the greatest nation on earth.“

The greatest nation on earth? Wie will er das wissen? Wieviele Nationen kennt er gut genug, um so ein Urteil zu fällen? Oder gibt’s vielleicht eine heimliche Hitparade, nur Regierungsoberhäuptern zugänglich? Aber nach welchen Kriterien wird die Reihung dort vorgenommen?

Man fragt sich, wie ein gebildeter Mann so was von sich geben kann.

Immerhin muss man ihm zugestehen, dass er sich, wenn schon nicht unbedingt in guter, so doch in zahlreicher Gesellschaft befindet. British exceptionalism, benennt man das Phänomen mittlerweile.

Von einer vagen Erinnerung an die Industrielle Revolution mag der Glaube vieler Briten stammen, die moderne Welt erfunden oder erschaffen zu haben. Inzwischen gibt’s wahrscheinlich schon eine kleine Bibliothek von Büchern mit Untertiteln wie How Britain Made oder How Britain Shaped oder How Britain Invented the Modern World.

Hand in Hand damit geht eine Denkweise, die den Briten selbst gar nicht mehr aufzufallen scheint: Wenn was toll ist auf ihren Inseln, dann nehmen sie automatisch an, es müsse weltweit Spitze sein: world-beating. Ich erinnere mich an einen Aufsatz über die Konservative Partei (ich glaube, im New Statesman), in welchem der Autor allen Ernstes die Tories als „the most vicious party in the world“ bezeichnete. Na ja – allzu viel dürfte er nicht gewusst haben von dieser Welt, oder?

Was mich beunruhigt an der neuen Liebe der Briten zum Prahlen, zur one-upmanship, das sind die Gründe, die dahinterstecken mögen. Warum tun sie das? Warum glauben sie auf einmal, so was nötig zu haben?

Josh Halliday, “Gavin Williamson: UK is ‚a much better country than every single one of them’”, The Guardian, 3 December 2020

“Coronavirus: UK to have ‚world-beating‘ tracing system”, BBC News Politics, 20 May 2020

Reuters Staff, „Tony Blair’s Farewell Speech“, Reuters, 10 May 2007

H. W. Valerian (Pseudonym), geboren um 1950. Lebte und arbeitete in und um Innsbruck. Studium der Anglistik/Amerikanistik und Germanistik. 35 Jahre Einsatz an der Kreidefront. War Freischaffender Schriftsteller und Journalist, unter anderem für die Gegenwart. Mehrere Bücher. Mehr Infos auf der persönlichen Website.

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