Billie Eilish hat für Cover und Artikel in der britischen „Vogue“ ihre Oversized-Klamotten gewissermaßen abgelegt. Die dafür entstandenen Bilder in Korsage, Mantel & Co. sind dabei das, was sich gemeinhin, mit einem männlichen Blick betrachtet, als sexy bezeichnen ließe.
Um diesen männlichen Blick zu unterwandern, eilen ihr derzeit aber auch zahllose, meist weibliche Feuilletonistinnen zu Hilfe und beschreiben die Bilder, die wenige Wochen vor der Veröffentlichung ihres zweiten Albums erschienen sind, als Akt der Selbstermächtigung und Selbstbestimmung.
Argumentativ ein paar Nummern kleiner ist außerdem zudem der intellektuelle Konsens unter Schreibenden und über Pop-Phänomene Nachdenkenden auszumachen, dass der Imagewandel von Eilish definitiv gelungen ist. Die 19-jährige werde jetzt schlicht erwachsen und bringen nunmehr endlich den Mut auf zu ihrem Körper zu stehen, der nicht in jedwede gängige Model-Schönheitsideale passe. Diesbezüglich sind auch sogenannte „Body Positivity“ Diskurse nicht allzu fern.
Fakt bei alldem ist jedenfalls, dass die nunmehrige Körper-Inszenierung von Eilish weniger Haut zeigt als etwa bei Künstlerinnen wie Chloe Bailey. Von Darstellungen einer Shirin David oder den übersexualisierten Bildern einer Katja Krasavice ist sie zudem in Bezug auf Explizität meilenweit entfernt. Die Aufregung im Feuilleton-Blätterwald fußt also eindeutig auf der Differenz der Darstellungs-Strategien der früheren und der gegenwärtigen Eilish.
Hat sie damit vor den Erwartungshaltungen einer Pop-Industrie kapituliert, die den weiblichen Körper gerne als Verkaufsargument für Musik einsetzt und das symbolische Kapital letztlich verspielt, das sie zuvor angehäuft hatte? Dieses speiste sich schließlich vorranging daraus, dass sie jungen Frauen mit ihrem Auftreten verdeutlichte, dass sie sich nicht „sexy“ kleiden und ihren Körper in Szene setzen müssen, um wahrgenommen zu werden.
Diesen Diskurs des Sich-Entziehens und des Spielens nach individuellen und womöglich selbsterschaffenen (Körper)-Regeln verlässt sie aktuell also. Eilish ist endgültig im Zentrum der kommerziellen Popkultur angekommen und hat sich offenbar ganz bewusst dorthin begeben. Dort toben aber Kämpfe und Diskurse darum, welche Körper zählen, welche Körper-Inszenierungen Klicks generieren und wie und vor allem wer sich wie viel Selbstbestimmung erlauben kann.
Insofern ist der Zeitpunkt, den Eilish für ihren Imagewandel wählt nicht unklug anvisiert. Sie ist bereits ein Weltstar und das Narrativ, dass sie ihre Songs weitestgehend zuhause mit ihrem Bruder schreibt, hat ihr einen Status der Unabhängigkeit verschafft. Nicht die Pop-Industrie diktiert ihr damit, wie sie zu klingen hat, sondern sie drückt ebenjener ihren eigenen, intentionalen Stempel auf. Indem sie mit ihrer Musik den Zeitgeist trifft, sind Plattfirmen & Co. von ihrem Wohlwollen und Tun abhängig – und nicht umgekehrt.
So verhält es sich höchstwahrscheinlich auch mit ihren aktuellen Bildern. Ebenso sehr wie sie sich in der Popmusik der Gegenwart mit ihrer eigenen Handschrift durchgesetzt hat, so sehr versucht sie das jetzt auf der Ebene der Körper-Inszenierung zu vollbringen, die meist untrennbarer Kontext zum Pop-Kunstwerk darstellte und darstellt.
Insofern sind besagte Bilder für sie ein Vorstoß, ein Sprung hinein in einen „Raum“, den sie, anders als in der Musik, noch nicht auf ihre Weise auslegt und mit-definiert hat. Die Bilder zeigen, abgesehen von dem klassisch notorisch-gelangweilten Blick von Eilish, (noch) nicht die Individualität ihres Musikschaffen. Es ist eher ein Auftakt. Eilish hat aber Gestaltungswillen – das hat sich schon oft bewiesen. Diesen gilt es gegenäwrtig im Auge zu behalten. Der Vorstoß in diese Ebene der Popwelt könnte sich nämlich als goldrichtig erweisen – oder auch als der erste strategische Fehler, den sie in ihrer Musikkarriere bisher gemacht hat. Mutig ist er allemal.