Das Kabarett-Programm „Revolutscher“ von Gabriel Castañeda feierte nach einigen Tiroler Vor-Premieren am Samstag in Roppen seine tatsächliche Premiere. Das Publikum bekommt an diesem Abend, ganz ohne Pause, einen fast zweistündigen Parkour-Ritt kredenzt, der im Eiltempo verschiedene Charaktere ausleuchtet.
Ausverkauft und gut gefüllt. So präsentiert sich am Samstag jedenfalls, wohl zum Teil auch in freudiger Erwartung der von Castañeda erschaffenen und in Corona-Zeiten zum Kult gewordenen Figur der Pvroni, der überdachte Vorplatz des Roppener Kulturhauses. Doch ihr Auftritt lässt auf sich warten. Zuerst spielt sich der Oberländer Kabarettist durch diverse Charaktere und deren Dialekte, lose zusammengehalten von einer Rahmenhandlung.
Zum Teil schon aus anderen Programmen, Musikclips oder sonstigen kreativen Äußerungen von Castañeda bekannte Figuren geben sich Schritt für Schritt ein Stelldichein. Die einfache, aber effektive Erzählung dahinter dient als Antriebsmotor. Sie alle sind, so will es das Programm, nämlich gewissermaßen Projekte von einem eher schwindligen Motivationstrainer.
Von dessen fragwürdigen Sitzungen und Programmen gestärkt, präsentieren sich die Figuren mit ihren Ideen und Ansichten in gnadenloser und atemloser Abfolge. Castañeda verkörpert im Laufe des Abends in dieser Hinsicht ein 17-jähriges Mädchen mit ungesunder Social-Media-Affinität ebenso wie einen neuerdings um Rassismusfreiheit bemühten lokalen Fußball-Apologeten oder auch den imaginierten Cousin von Arnold Schwarzenegger.
Klimax, abgesehen von Prvoni, die am lautesten bejubelt wird, gibt es keine. Es ist ein ständiges Auf und Ab, ein Wechselbad der Gefühle, ein Oszillieren zwischen Sympathie und Antipathie den Dargestellten gegenüber. Ganz egal aber, wie nahe man dem oder der Vorgeführten jeweils steht, verblüfft dabei durchwegs die Begabung von Castañeda ihnen Leben und damit eng verknüpfte Abgründe einzuhauchen.
Sein Werkzeuge dazu sind pointierter Sprachwitz, unterhaltsamer Leichtsinn und ein Schuss Obszönität. Vor allem aber ist es ein Verdienst von ihm, dass sich der moralische Zeigefinger nie wirklich erhebt und sich kein besseres Leben oder bewussteres Dasein aus der Figuren-Abfolge ableiten lässt. Castañeda lotet aus, was in seinen Charakteren verborgen ist, enthält sich aber der allerletzten Zuspitzung und damit einer impliziten Bewertung.
Im Vordergrund steht damit eindeutig die, mal mehr mal weniger tiefgründige, Unterhaltung, nicht die Belehrung oder gar die Besserwisserei der One-Man-Show Castañeda. Seine letzten Worte des Abends, man möge doch das eigene Potential und das eigene Revolutionäre in sich entdecken, führen wohl kaum zur handfesten politischen Agitation oder zur tiefschürfenden Veränderung des eigenen Lebens.
Die wirklich Erkenntnis des Abends ist wohl viel eher: Es ist in Ordnung, über sich und andere lachen zu können. Es ist okay, sein eigenes, verkorkstes Leben als revolutionär zu verklären. Nicht akzeptabel ist es aber, sich über andere Menschen und Lebensentwürfe lustig zu machen oder darüber zu spotten. Der Humanismus, der das Programm von Castañeda durchzieht und von seiner exakten Beobachtungsgabe ausgefüllt wird, legt das jedenfalls mehr als nur nahe.