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Kunstwinter / Kultursommer – Zur EU-Urheberrechtsrichtlinie

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Auf jeden Winter folgt bekanntlich ein Sommer, zumindest solange das Klima in gewohnten Bahnen verläuft. Gilt das auch für Kunst und Kultur? Oder haben wir da den Kipp-Punkt überschritten?

Den Corona-bedingten Kulturwinter haben wir hinter uns. Fürs Erste zumindest. Wie überleben Künstler solche Zeiten? Fährt man seinen Kalorienverbrauch herunter? Frisst man sich im Kultursommer Wintervorräte an? Oder hungert man sich durch und hofft auf den Frühling, der bekanntlich immer irgendwann wieder kommt? All das haben Tausende Kunstschaffende ausprobiert. Vor Jahrhunderten ebenso wie 2020. Ein Teil der Population hat die kalte Jahreszeit noch jedes Mal irgendwie überlebt. Oft sind halt empfindlichere, weniger anpassungsfähige Arten ausgestorben. Natürliche Selektion heißt das in der Biologie. Betrifft vor allem hochspezialisierte Spezies.

Was aber, wenn sich das Klima einmal dauerhaft verändert? Eine veritable, lang andauernde Eiszeit anbricht? Die hat womöglich jetzt mit der „EU-Richtlinie über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt“* begonnen. Dieser zufolge dürfen – neben anderen sinnvollen — Ausnahmen sogenannte „Bagatellen“ kopiert und darf urheberrechtlich Geschütztes für sogenannte „Pastiches“ ohne Einwilligung des Urhebers/ der Urheberin verwendet werden. Aha, denkt man, ist doch das meiste, was einem beim Surfen begegnet, eine Bagatelle, oder? Zumindest versteht der kopierende Hans Mustermann, der eine Hintergrundmusik für sein Urlaubsvideo braucht, darunter wahrscheinlich nicht die erlaubten 15 Sekunden, sondern die Unwichtigkeit jeglicher Musik, die für ihn sowieso bloß Hintergrundgetöse darstellt. Und ein schönes Foto herunterkopieren und als Poster an die Wand picken, ist doch wirklich eine Bagatelle!  Und einen Film, den man eh nur einmal anschaut, den möchte ein guter Freund sicher auch gern sehen. Schicken wir den doch weiter. Man teilt ja alles gern mit seinen Freunden …

Und weiter: was, bitteschön, ist ein Pastiche? Da schaut man besser auf Google nach.  Ein Pastiche, so stellt sich heraus, ist, wenn ich mehreres zusammenpantsche. Das ist dann also ein eigenständiges Kunstwerk, mit dem der nächste allerdings ebenso wieder herumgatschen kann. Der postmoderne, ehedem immerhin gezielt eingesetzte Kunstdiebstahl mutiert so zum Kindersandkasten, in dem einer dem anderen seine Burg zertrampelt, etwas Neues, nicht unbedingt Besseres, daraus baut, das dann wiederum rücksichtslos vom Nächsten …, etc. etc.  Die Richtlinie zum Schutz der Urheberschaft im digitalen Raum beinhaltet somit sehr schwammige Begriffe, die einerseits jeden zum Künstler machen, andererseits aber alle Künstler und Künstlerinnen möglicher Einnahmen berauben und diese an die digitalen Großmächte und deren Kundschaft umverteilen werden. Wenn diese Kunst-Eiszeit jetzt anbricht (es bleibt noch ein Freiraum für „nationale Gestaltung“. Was heißt das konkret wieder?), wird Kunstschaffenden, wenn sie überleben wollen, wahrscheinlich nichts übrigbleiben als zu mutieren: zu Angestellten, Arbeitern, Hausfrauen, Verkäuferinnen, wo halt grad eine Stelle für Ungelernte frei wird. Bestenfalls zu prekär Angestellten bei einer allmächtigen Internetplattform, die ihnen ihre Ware billig abnimmt, um damit ihr eigenes Betriebsergebnis aufzufetten. Bei den Anbietern digitaler Dienste herrscht nämlich ewiger Sommer. Die können sich ihr Kulturklima mittels Algorithmen selbst erzeugen. Allerdings irgendwann wahrscheinlich nur noch in Form von Remakes, Parodien oder Pastiches von Althergebrachtem, ohne Neues von noch lebenden Künstler*innen. Diese werden sich wohl zum Überleben eine Zeitlang hungernd ins letzte Loch des Analogen zurückziehen müssen.

*Nachzulesen auf: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32019L0790

Wer sich die Lektüre der gesamten 34 Seiten ersparen will:

Diese EU-Richtline versucht sich über weite Strecken wirklich redlich in der Quadratur des Kreises, aber die davon betroffenen Interessen sind einfach zu gegensätzlich.  So stellt sie sich in Pkt 2 die Aufgabe, einen „Beitrag zu dem Ziel der Union (zu leisten), die kulturelle Vielfalt zu wahren und zu fördern und gleichzeitig das gemeinsame kulturelle Erbe Europas hervorzuheben“. Allerdings steht schon im nächsten Absatz (Pkt 3): „Die einschlägigen Rechtsvorschriften müssen zukunfts­tauglich sein, damit die technologische Entwicklung nicht behindert wird.“ Ja, wer wird jetzt vorrangig geschützt? Die Kunst oder die technologische Entwicklung?

Vgl auch Pkt 70: „Nutzer sollten Inhalte, die von Nutzern generiert wurden, zu Zwecken des Zitierens, der Kritik, Rezension, Karikatur, Parodie oder Pastiche hochladen dürfen. (…) Diese Ausnahmen und Beschränkungen sollten deshalb verpflichtend gelten, um sicherzustellen, dass Nutzer in der gesamten Union einheitlichen Schutz erhalten.“ Hier wird also der Nutzer 1 (der Kunstkonsument) vor dem Nutzer 2 (dem Urheber) geschützt. Verwirrend, nicht? Alle beide nutzen das Internet und dessen Plattformen. Doch wer nützt wen womöglich aus?

Zugegeben, ein neues Urheberrecht ist keine einfache Sache. Aber ein bisschen mehr Mühe hätte man sich schon geben können. Ich denke, jeweils ein Button, der für Musikausschnitte über 15 Sekunden bzw. für Fotos oder Texte ab einem bestimmten Prozentsatz oder einer ausgewiesenen Länge des Gesamtdatensatzes das Einverständnis für eine Kopie einfordert, wäre für einen Programmierer nicht so schwer zu erstellen, oder? Beim Datenschutz haben es ja auch schon alle (beinahe) geschafft. Und wenn einer seine Konzerte oder Bilder oder Texte wirklich frei einstellen will, ja, dann braucht er ja nur einen Button „öffentlich freigegeben“ zu betätigen. Wissenschaftliches Copyright ist auch einfach zu handhaben: Der Wissenschaftler zitiert, wenn er ein echter ist, eh brav seine Quelle. Ansonsten kommt der Plagiate-Weber …

Aber schließlich: Was ist mit Satire? No problem. Wenn Maschek oder Jan Böhmermann Bilder unterlegen, dann ist die Satire für jeden Trottel, besonders für den betroffenen Trottel, klar erkennbar. Und wenn das nicht reicht, könnte man ja immer noch sicherheitshalber ein Satiriker-Register einführen, vergleichbar dem Lobbyistenregister. (Da müssten sich dann viele ÖVPler und FPÖler zumindest öffentlich deklarieren.) Manches wäre wirklich einfacher zu lösen als mit dieser EU-Richtlinie, denkt der Laie.

Geboren 1954 in Lustenau. Studium der Anglistik und Germanistik in Innsbruck Innsbruck. Lebt in Sistrans. Inzwischen pensionierte Erwachsenenbildnerin. Tätig in der Flüchtlingsbetreuung. Mitglied bei der Grazer Autorinnen und Autorenversammlung Tirol, der IG Autorinnen Autoren Tirol und beim Vorarlberger AutorInnenverband. Bisher 13 Buchveröffentlichungen.

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