H. W. Valerians Text zu neuzeitlichen Feedbackmethoden mittels „Schüler-App“ möchte ich noch ein wenig erweitern. In der „Zeit“* hat kürzlich ein Journalist ausgerechnet, dass die deutschen Bundestagswähler, die sich erst in der Wahlurne entscheiden, gerade einmal 14 Sekunden für ihre demokratische Entscheidung haben, bis der Stimmzettel unwiderruflich in der Urne verschwindet. Und eine Woche vor der Wahl waren noch 22 Prozent der Wähler unentschlossen!
Da wird eventuell nichts Gescheites herauskommen. Wie auch bei der Schüler-App zur Lehrerbeurteilung, egal wie viel nachher herausanalysiert und hineininterpretiert wird. Denn auch jede Wahl ist ein Feedback, gespeist aus Erfahrungen und Erwartungen. Und echtes Feedback braucht echtes Gespräch.
Vorgegebene Multiple Choice Fragebögen, bei denen man Noten von 1 bis 5 vergibt oder Leerfelder, in die man ein Kreuzerl machen darf (Nur eines! Keinesfalls ein anderes Zeichen! Und um Gottes Willen bloß keinen Kommentar!), sind für die Wäsch´, außer der Beurteilte bekommt viele Fünfer. Denn dann fragt er vielleicht wirklich nach.
Was aber soll, wie schon A.W Valerian fragt, zum Beispiel die Benotung der Fachkompetenz durch jene, die diese selbst nicht besitzen? Wäre es nicht besser zu eruieren: „Welche Fragen konnte ich Ihnen nicht verständlich beantworten? Bei welchem Thema brauchten Sie externe Hilfe, um es zu verstehen? Wo waren meine Anweisungen unklar und meine Hilfsangebote unbrauchbar? Wofür konnte ich Sie begeistern und was fanden Sie öde? – Auf solche Fragen bekommt man vielleicht eine aussagekräftige Antwort.
Stattdessen kreuzt einer in irgendwelchen Apps etwas an, fragen die Zeitungen allwöchentlich Beliebtheitsindizes von Politikern ab, und alle paar Jahre darf man zusätzlich ein Kreuzerl in ein Ringerl machen bei jenem politischen Akteur, den man wegen eines kürzlich gerade gut oder schlecht aufgenommenen Fotos oder wegen eines in den Medien wiedergegebenen Halbsatzes liebt oder hasst. Und vielleicht ist man zurzeit einfach nur gerade angepisst und will irgendwem, egal wem, den Stinkefinger zeigen. Gefragt, warum man so oder anders reagiert hat, wird man danach bestenfalls noch von einem Umfrage-Institut, aber damit hat sich´s mit dem Feedback-Gespräch für die nächsten Jahre.
Ein Diskurs zwischen Regierenden und Regierten kommt auf diese Weise nicht zustande, nur dumpfe Zufriedenheit oder hilfloser Frust — auf beiden Seiten. Kein Wunder, dass manche an unserer Demokratie verzweifeln. Und dass man beim täglichen Stehsatz vom „Ernstnehmen der Bevölkerung (oder wahlweise: der Schüler) und ihrer Bedenken und Sorgen“ tobsüchtig werden könnte.
*„Die Zeit“ vom 16.9.2021, S.2