Wer frisch in Pension ist, beäugt die Gleichaltrigen meist unter dem Aspekt, wie vertrottelt sie schon sind.
Dieses liebliche österreichische Wort an der Grenze zwischen Aktiv und Passiv ist eine Hommage an die eigene Fähigkeit, sich beim Verfall mit Genuss selbst zuzusehen.
Natürlich hofft man dabei, dass man auch körperlich halbwegs mithalten kann mit dem, was sich in der Öffentlichkeit Fitness nennt. Deshalb ist es für viele ehemalige Kundschaften der Körper-Studios so bedrückend, dass dieser Markt jetzt pandemischen eingebrochen ist. Wo kriege ich jetzt Infos her, wie ein alter Körper auszusehen hat?
Diese Vertrottelungsängste plagen freilich in der Politik die wenigsten. Wenn man sieht, mit welcher glatt-gerunzelten Stirn der Landeshauptmann verkündet, dass er wieder antreten wird, fühlt man sich als gleichaltriger Nichtwähler geschmeichelt. Für diese Spiele wäre man also noch alt genug!
Geradezu komisch läuft allerdings bei den Dichtern das Vertrotteln ab.
Natürlich hilft es eine Zeitlang, bei einem gewissen Theodor Fontane zu lesen, wie sein Held Stechlin in einen aufgewühlten See gleichen Namens starrt, als ob er ahnte, dass dieser nach hundert Jahren ein Atomkraftwerk kühlen würde. Und der Fontane selbst ist eine einzige Ermutigung, hat er doch erst als Pensionär zu schreiben begonnen.
Aber ein Blick auf das schriftliche Ausgeistern der österreichischen Kollegenschaft nimmt einen mit der Zeit ziemlich her.
Gerade hat der einst so politische Erzähler Michael Köhlmeier seinen Frieden mit der Welt gefunden und einen Kater-Roman geschrieben, der die Senioren noch einmal aufgeilt und sie zittrig macht vor Aufregung, ob sie die einzig interessante Stelle im Buch auch finden werden, oder ob sie schon darübergelesen haben. (Bei neunhundert Seiten und der Weltgeschichte als Inhalt verliest man sich leicht.) Im Alter lernt man die Tiere verstehen, heißt es, weil man selber eines wird, das sich zum Sterben bereit macht. Warum soll man sich also nicht von einem Tier etwas erzählen lassen? Für das Tier spricht nämlich, dass es nicht gendern muss. Der alte Köhlmeier erweist sich also als schlauer Fuchs auf seine dünner werdenden Tage.
Die einst ebenso austro-revolutionäre Erzählerin Barbara Frischmuth hat sich schon vor längerer Zeit auf das Garteln verlegt und sich alle Blumen einzeln vorgenommen. Die Erzählerin will nämlich ihren Garten verkleinern, bis er auf den Friedhof passt, aber die Blumen wachsen immer wieder in die Höhe oder davon.
Dieses Problem hatte schon einmal der österreichische Fehl-Revolutionär Adalbert Stifter, er machte sich auf den Weg nach Wien zur Revolution und musste sehen, dass sie schon vorbei war. Wieder zuhause in Oberösterreich beschloss er, genauso viel zu essen, wie er schrieb. Und das ist beim Nachsommer eine Speise von über tausend Seiten. Er hat sich mit der Zeit selbst verdaut, sagt man spöttisch, und tatsächlich wusste er gegen Lebensende nicht mehr, wo oben und unten ist, und hat sich daher beim Rasieren tödlich in den Hals geschnitten.
Der Fitteste unter den Vertrottlern ist eindeutig Reinhard P. Gruber. Er hat sich vor ein paar Jahren hingehockt und sein irgendwie letztes Buch geschrieben. Darin ist ein Jahr lang aufgezeichnet, wie er verschläft, sich zum Schreiben zwingt und schreibt, dass er das Schreiben hasst wie das Leben und müde ist. Dabei sind nur die Vormittage aufgezeichnet, da die Nachmittage komatös verlaufen sollen. Das ist vielleicht sein geheimes Pensionsthema: Wie schreibe ich im Koma? Aber die Betrachtungen zu Politik und Umwelt sind ohnehin nur im abgetauchten Zustand zu begreifen.
Als der gelungenste Vertrottler Österreichs gilt Gerhard Amanshauser, er hat mit abflauendem Geisteswind begonnen, sein Werk von hinten her vollzuschmieren und unleserlich zu machen. Sein Schriftsteller-Sohn gleichen Familiennamens hat ihm ab und zu helle Seiten entreißen können, sonst wüssten wir nicht, wie der einstige Star des originären Residenz-Verlages seinen Geistesabend verbracht hat. Aus persönlichen Erinnerungen wissen wir, dass er stets von diesem anderen Zustand geträumt hat, wie der wache Teil von ihm beobachtet, wie der andere verblödet. (Er hat übrigens genauso geredet, wie er hier erinnert ist.)
STICHPUNKT 21|62, geschrieben am 31.08. 2021