Das Thema Frauen-Hintern ist im Moment omnipräsent. Erst vor kurzem war der Po der Kletter-Athletin Johanna Färber in Nahaufnahme und Zeitlupe im Fernsehen zu sehen. Ende August hat zudem die österreichische Bloggerin DariaDaria einen Frauenbadetag organisiert, um Frauen vor dem „male gaze“, also vor starrenden Männern, zu schützen. Diesbezüglich darf davon ausgegangen werden, dass in der Logik von DariaDaria ansonsten auch der eine oder andere männliche Blick in Richtung Frauen-Pos gewandert wäre.
Im September schließlich erschien der Videoclip zum Song „Have Mercy“ der amerikanischen Musikerin Chlöe. In einem Interview sagt sie dazu selbst, dass sich der Clip vorrangig mit dem Thema Frauen-Po beschäftigt. Überhaupt scheint der weibliche „ass“, schon deutlich früher losgetreten etwa von Beyoncé und deren Inszenierungen ihres eigenen Hinterteils, eine der künstlerisch-ästhetischen Leitkategorien der gegenwärtigen, schwarzen amerikanischen Popmusik zu sein.
Ein genauerer Blick auf die Inszenierungen und Diskurse rund um Johanna Färber und Chlöe lohnt sich. Fast zeitgleich zu dem „Po-Skandal“ im Umfeld ihres Kletter-Wettkampfes präsentierte sie nämlich ihren Hintern in einem kurzen Instagram-Clip, der sie in einem Bikini gekleidet in einen Pool springend zeigte. Der Videoclip von Chlöe weißt zudem eine bekannte weibliche, schwarze Regisseurin aus: Karena Evans.
Deutlich ist also hier schon: Während Konzepte, wie das von DariaDaria, den männlichen Blick per se am liebsten ganz ausklammern möchte und sich Johanna Färber zu recht darüber aufregt, dass ihr Hintern ohne Zusammenhang mit ihrer sportlichen Leistung in Großaufnahme gezeigt wurde, ist auch ein spielerischerer, lustvollerer Umgang mit diesem Thema möglich.
Chlöe mimt in ihrem Musikvideo beispielsweise eine Art von Medusa, deren Hintern Männer reihenweise verfallen. Mit altbekannten Folgen. Sie ist dabei nicht willenloses Objekt, sondern tätiges und gefährliches Subjekt, das diese Reize ganz bewusst und gezielt einsetzt, um Männer in Trance zu versetzen und danach ihre ganz eigenen Regeln aufzusetzen. Die könnten lauten: Schauen ja, anfassen nein.
Der Begriff, der hier somit ins Spiel kommt, ist Selbstbestimmung. Frauen, die zu ihrem Po stehen und diesen gerne in Szene setzen fordern Männern schließlich damit nicht dazu auf, exzessiv zu starren oder gar körperlich übergriffig zu werden. Solche Frauen machen ihre eigenen Regeln, spielen mit dem „male gaze“ und verunmöglichen ihn zugleich. Ansätze dazu sind: Überhöhtes Selbstbewusstsein auf Frauenseite, klare Widerworte, wenn zu sehr gestarrt oder gar versucht wird anzufassen oder, wie im Clip von Chlöe, ein Klaps auf den männlichen Hintern als Gegenreaktion.
Im Endeffekt sind solche selbstbestimmten, selbstbewussten Inszenierungen des eigenen Pos von Frauen, siehe dazu etwa auch die Ivy-Park-Kampagnen von Beyoncé und eben Clips von Chlöe oder auch Megan Thee Stallion, der einzige wirklich gangbare Weg um nicht in die Prüderie abzurutschen. Dass Johanna Färber nach der „Po-Diskussion“ ihren Instagram-Account vorübergehend stillgelegt hat zeigt jedenfalls, dass sie nicht diesen Weg gegangen ist, sondern etwaigen männlichen Blicken schlicht keine Fläche mehr bieten möchte.
Auch der Ansatz von DariaDaria hat klare Kippmomente. Unter die weiblichen Badegäste mischten sich, auf Fotos von diesem Tag gut erkennbar, auch Frauen in Burkinis. Selbstbestimmung hat hier einen etwas seltsamen Beigeschmack: Frauen soll es offenbar auch erlaubt sein, sich für eine patriarchale und rückwärtsgewandte Ideologie entscheiden zu dürfen, in der die strikte Geschlechtertrennung auf mehreren Ebenen Realität ist.
Wir haben also letzten Endes gar keine Wahl. Die Reaktion von Johanna Färber ist zwar verständlich, aber wenig selbstbewusst und spielerisch. Sie hätte der männlichen und damit fremdbestimmten und unangemessenen Inszenierung ihres Hinterns im Fernsehen selbstbestimmte, künstlerisch ansprechende Bilder von guten weiblichen Fotografinnen entgegensetzen können. So zieht sie sich und ihren Körper zurück, entschuldigt sich fast dafür, entzieht sich dem Diskurs ganz und hat dem „male gaze“ nicht wirklich etwas entgegenzusetzen.
Vielmehr gilt es aber Blicke, Begehren und Inszenierungen der eigenen, auch der männlichen Körperlichkeit, stets neu und selbstbewusst zu verhandeln. Der „male gaze“ ist es nämlich nicht zuletzt, der unser Frauenbild bestimmt. Wenn Frauen ihr eigenes Bild entwerfen und eigene Inszenierungsstrategien etablieren, dann beißt sich dieser die sprichwörtlichen Zähne aus.