Der folgende Text will keine weitere Analyse der aktuellen innenpolitischen Situation sein, sondern der schlichte Versuch, in aller Ruhe und ohne eingefärbte Brille, darüber nachzudenken, was all das mit mir macht. Mit mir als Mensch. Mit mir als Wähler. Mit mir als Bürger Österreichs.
Wie so viele habe auch ich mich am vergangenen Samstag um 19.30 Uhr vor den Fernseher gesetzt, um zu sehen was Sebastian Kurz zu sagen hat. Zu diesem Zeitpunkt war längst klar, welche Entscheidungen im Hintergrund getroffen wurden und welcher politische Move präsentiert werden soll. Noch nicht klar war die Art und Weise wie all das verkauft werden sollte.
Nach der Ansprache saß ich auf dem Bett im Hotelzimmer und überlegte kurz. Für mich. Ganz allein. Ganz intim. Fast unschuldig.
Wieso stellt sich Sebastian Kurz so vor die Medien? Wieso verkauft er mir, den polit-taktisch nachvollziehbaren Move mit diesen Worten?
Für einige Sekunden schweifen meine Gedanken in eine Parallelwelt ab, in der Sebastian Kurz folgendes sagt:
„Es war immer mein großer Traum Österreich, dieses wunderschöne Land, aktiv mitzugestalten. Um politisch dorthin zu kommen, wo ich nun bin, braucht es Durchhaltevermögen und durchaus auch Ellbogen. 2016 haben wir wahrscheinlich über das Ziel hinausgeschossen. In der Hitze des Gefechts wurden Dinge geschrieben, gesagt und getan, die heute so nicht mehr passieren würden. Ob davon irgendetwas strafrechtlich relevant ist, müssen unsere unabhängigen Gerichte entscheiden. Bis das so weit ist, möchte ich mich bei allen Bürgerinnen und Bürgern Österreichs entschuldigen. Dafür, dass ich dem Ruf ihres Landes international keinen Gefallen getan habe. Selbstverständlich trage ich die Konsequenzen, auch für die Performance meines Teams und trete aus diesem Grund zurück. Ich bin jedoch bereit für ein Comeback und gewillt aus Fehlern zu lernen. Ich will und ich kann Österreich mitgestalten. Besser denn je. Davor braucht es jedoch Aufklärung.“
Ach. Was für eine Traumwelt. Alice wäre stolz auf mich. So verrückt ist ihre nicht.
Zum Abschluss noch ein wenig Inhalt. Wen ich bei der nächsten Wahl wähle, weiß ich noch nicht. Ich weiß nur, was ich mir wünsche. Eine Gesellschaft …
… in der es ein soziales Netz gibt, das Menschen auffängt, bevor sie ganz unten ankommen
… in der jeder so sein kann, wie er oder sie möchte. In der kein Einheitsbreit die Potentiale der Menschen erstickt
… in der Leistung belohnt und gefördert wird
… in der Traditionen nicht belächelt und geächtet werden. Wer sich in der eigenen Tradition sicher und verankert fühlt, kann offen für andere sein.
… in der Anstand, Transparenz, Empathie, Gerechtigkeit und Menschlichkeit keine Fremdwörter sind
… die Zuwanderung sinnvoll nutzt und nicht populistisch verdammt. Da wir unsere Bevölkerungspyramide halbwegs bauchig halten sollten.
Ganz naiv gedacht.
Sie lasen soeben einen weiteren Text der Serie „Naiv gedacht“.