Früher dachte man bei Geschichtsschreibung an Herodot und Thukydides, später an wissenschaftliches Quellenstudium, heute vor allem an Sport. Damit sind wir zu den antiken Methoden der Historienschreibung zurückgekehrt. Jene pries zu nationalen Propagandazwecken obskure Helden und deren Kämpfe in epischer Länge. Und wenn heute einer einen Ball lange genug hin und her schlägt, wird eben das in Länge und Breite medial ausgewalzt. So kommt es, dass Rafael Nadal beim Australian Open in einem „epischen Endspiel“ heuer „Tennisgeschichte geschrieben“ hat. Und ebenso ähneln sich Heldengeschichten früher wie heute darin, dass der monetäre Gewinn oder Machtzuwachs dubioser Hintermänner im Heldengeschäft nie in dieser Geschichtsschreibung auftaucht.
Doch da die Medienlandschaft heutzutage vielfältiger ist als in der Antike, erleben wir eine wahre Inflation an Geschichtsschreibung. Derzeit schreibt also einerseits Johannes Lamparter Langlaufgeschichte, andere schreiben dagegen Rodel- oder Schi-Geschichte, die Olympischen Spiele in Peking werden auch wieder das eine oder andere Kapitel Sportgeschichte anfügen, während im Hintergrund – hinter all dem Brimborium versteckt — womöglich echte Geschichte gemacht wird.
Und gegen Sommer zu wird die Fußballgeschichte wieder um ein paar Kapitel erweitert werden, auch wenn sich nach wenigen Wochen oder spätestens Jahren keiner mehr an diese angeblich geschichtsträchtigen Leistungen der Berufssportler erinnern wird, da es ja das Wesen eines jeden Rekords ist, dass er irgendwann gebrochen wird, was dann wiederum neue „Geschichte schreiben“ kann. Die Menschheit ist ja sowieso – nicht nur im Sport – geschichtsvergessen. Da muss man schon einmal einen Film drehen, damit ein Abfahrtssieg eines inzwischen gealterten Schirennläufers wieder aus der Mottenkiste geholt werden kann. Dann schreibt dieser Film die verblasste Geschichte noch einmal für ein paar Wochen fort, bis auch der unnötige Film wieder vergessen ist.
Eigenartig ist nur, dass Kulturereignisse, egal wie aufwühlend, niemals „Geschichte schreiben“. Auch nicht Menschen, die etwas wirklich Außerordentliches für den Fortbestand der Welt leisten. Die kriegen höchstens den alternativen Nobelpreis, in seltenen Fällen sogar den „echten“, und manchmal bekommen sie einen Orden, was aber von der Geschichtsschreibung ignoriert wird, weil man daran gewöhnt ist, dass Ordensträger eh nichts geleistet haben außer Dinge, für die sie in ihren Ämtern bezahlt wurden.
Es bleibt, wo immer man hinschaut, das Problem aller Geschichtsschreibung bestehen: Was wirklich wichtig und geschichtsträchtig war, weiß man erst sehr viel später. Aus der Nähe besehen ist es oft unscheinbar. Also schreiben wir besser nicht ständig Geschichte, die sowieso gleich wieder im Reißwolf des Vergessens landet. Beerdigen wir die sinnlose Phrase bitte endlich auch ebendort.