„Ich sehe es deinen Augen an, du wirst heute sterben!“ –„Nein, ich habe mich versprochen, du wirst heute schifahren!“
Jetzt ist Afta Grins aber hellwach. Eben noch hatte er einen Alptraum über sein Leben, dass er in einem Studio sitzt und dreißig Jahre Lang die Sendung „Leck-Tirol“ moderieren müsse. Und jetzt ist da die pure Wirklichkeit: Er ist beim Eierkochen wieder eingeschlafen und sitzt am Küchentisch, vor sich das kleine Batterie-Radio, das auch im Katastrophenfall empfangen kann.
Die Eier sind nicht nur hart, sondern auch geborsten, es stinkt nach Eiweiß, das über den Lüftungsschacht einer Bodybuilder-Anlage abgesaugt wird.
Die Sendung ist heute so wirr, dass sich der pensionierte Morgenmoderator nicht mehr von ihr trennen kann. Es kommt ihm vor, als sendeten sie den gesamten Blödsinn seiner aktiven Zeit in einer eingedampften Fassung.
Die Morgensendung verlangt unheimliches Feingefühl und Geschick, was aber beim genetisch auf plump getrimmten Tiroler Publikum, ziemlich hinausgeschmissene Skills sind.
Das Morgenpublikum arbeitet sich ohne Hirn in den Tag hinein, die wenigen Reflexe, die beim Tiroler um diese Zeit schon funktionieren, sind jene für den Harn und Darm. Dazwischen ist der Tiroler mit Eierkochen und Wetterbericht-Hören beschäftigt.
Es bleiben nur kleine Info-Fenster, in denen man historische Happen senden kann.
„In den 1920er-Jahren wird für die Einbürgerungszeremonie der nordamerikanischen indigenen Bevölkerung das „Ritual on Admission of Indians to Full American Citizenship“ erdacht.Es sieht vor, den Übergang vom Stammesangehörigen zum amerikanischen Staatsbürger durch einen letzten Pfeilschuss zu besiegeln. Nach diesem letztmaligen Gebrauch ist der Bogen abzugeben und die Hände sind auf einen bereitstehenden Pflug zu legen.“
Jetzt verschwindet das Publikum wieder, um die Körperpflege fortzusetzen, und gleichzeitig setzt sich ein neues Publikum, das soeben aufgewacht ist und mit dem Bodenturnen begonnen hat, vor die Frühstückseier und hört den Reizwörtern zu.
„In Tirol müssen ab jetzt die neuen Staatsbürger den bisherigen Sportarten abschwören und auf dem bereitgelegten Amtsski schwören, ein guter Tiroler zu sein.“
Auch diese Meldung kommt gut an, weil das Schlüsselwort Ski darin enthalten ist. Selbst wer noch nicht deutsch kann, fühlt sich mit diesem Amtseid sofort heimisch.
Afta Grins sollte schon längst mit dem Bodenturnen beginnen, aber kann sich nicht von der Sendung losreißen. Angst überfällt ihn, die Batterien könnten vor Sendeende leer sein, und wenn er das Kabel vom Dachboden holt, versäumt er vielleicht das Wichtigste des Tages.
Gegen 0630, wie die Moderatoren in einem Bundesheerdeutsch sagen, kichern sie sich weiter durch die Sendung „Leck-Tirol“.
„Ob der Reifen mit dem Asphalt schmust“, fragt er, und sie sagt, „alles im Land schmust heute, die Straßen seien nämlich frei und ihr Verkehrshinweis gehe sprichwörtlich ins Leere“.
Zuvor hat eine zugeschaltete Südtiroler Korrespondentin berichtet, dass der Südtiroler Tourismus generell sehr verwöhnt sei, aber heuer blieben manche Gäste aus.
Spontan fällt ihr ein Funktionär mit einem Jodler ins Wort und verlangt sofort eine Unterstützung, denn viele könnten ihre leeren Hotels nicht mehr heizen.
Dieser Südtiroler Jammer-Ton ist sehr ergreifend im eigenen Land, aber äußerst eklig, wenn der Beitrag außerhalb gespielt wird.
Und jetzt ist auch noch die Batterie fertig, oder es ist der Selbstschutz, den das Gerät eingebaut hat. Jedenfalls legt sich Afta Grins bei totem Radio auf den Küchenboden und beginnt zu turnen.
STICHPUNKT 22|18, 10.02. 2022