So einmal im Monat kracht es in der Steirischen Fläche.
Abwechselnd sind es sanfte Weinhügel oder herbe Kürbissenken, welche die gesamte Aufmerksamkeit auf sich lenken und dadurch die darin Verkehrenden in Todesgefahr bringen.
Denn auch für die Steiermark gilt, was in Tirol schon lange Allgemeingut ist: Wer sich an den Rand von was begibt, kommt leicht darin um, indem er trotz aller Vorsicht in das hineinfällt, was umrandet ist.
Rechtzeitig für die regionalen Wochenendblätter kracht es also in der Steiermark, indem an entlegenen Stellen verlässlich ein Auto in eine Überland-Garnitur einer Regionalbahn fährt.
Und immer ist es ein Rotlicht, das übersehen wird, weil es im Herbst zwischen roten Weinblättern oder Kürbisköpfen untergeht in einem monotonen Pixel-Regen, der gerade Rotgrün-Blinde herausfordert.
Für die Regionalblätter sind diese Unfälle ein farblicher Glücksfall, denn die Nachricht vom Unfall lässt sich in Zapfenform in die Landschaftsstrukturen einpassen.
Es ist Ernte, und eine Getragenheit zieht sich durch Landschaft und Nachrichtenblätter.
Das Besinnliche an diesen Arrangements: Im Zug sitzt immer ein einziger Passagier, der nach dem Crash zur Überwachung in ein entlegenes Bezirkskrankenhaus gebracht wird.
Der Autolenker ist meist tot. Er wäre wegen der Entlegenheit des Unfallortes aber auch dann gestorben, wenn er beim Eintreffen der Rettungskräfte noch gelebt hätte.
Was sollen uns diese getakteten Meldungen aus der Fläche sagen?
– Dass im Herbst jene sterben müssen, die für den Winter nicht fit sind?
– Dass hinter jeder Idylle ein Tod steckt, der nicht sanft sein muss, sondern im Gegenteil mit der Crash-Kraft von vielen PS verbündet ist?
– Dass du als Einzelperson besser in einem Dieseltriebwagen sitzt, als in einem Dieselauto?
Der Aufwand ist ja selbst in der Peripherie beträchtlich. Eine Diesellok verbraucht pro Kilometer 5 Liter Treibstoff, also sollten hundert Unfall-Überlebende drinsitzen, dass sich der Vergleich Auto versus Zug in der steirischen Fläche rechnet.
Gerüchtehalber sind die Regionalgarnituren um diese Jahreszeit immer netto leer unterwegs.
Die Wagenlenkende Person (früher Triebfahrzeugführer) wird dem Brutto der Wagenmasse zugerechnet und nicht der Nutzlast.
In den entlegenen Flächen der Steiermark ist der Alkohol kein Tabu, sondern wird mit Stolz durch die Gegend getragen. Für das Transportwesen gilt: Das Brutto muss nüchtern sein, das Netto darf saufen.
Bei so manchem Unfall stehen die Rettungskräfte vor einem Problem, sie haben einen toten Autofahrer und einen nicht nüchternen Wagenlenker.
Meist wird dieses Dilemma dadurch gelöst, dass ein ehemals beamteter Schaffner nüchtern als Rentner mit den Einsatzkräften mitfährt und sich als Triebfahrzeugführer ausgibt.
Der angetrunkene echte „TF“ (Triebfahrzeugführer) steigt indessen in den Rettungswagen und gibt sich als einziger Passagier aus, der den Crash leicht illuminiert, aber sonst bestens überlebt hat.
Am Montag nach dem Unfall schneidet man das Rotlicht frei, es flunkert wieder ungehemmt in der Landschaft wie eine Nachricht. Die Protokolle zum Geschehnis werden abgelegt, niemand ist betrunken gewesen, stellt sich heraus, aber das macht den Unfall nicht ungeschehen.
STICHPUNKT 22|80, geschrieben am 12.10.2022