(c) Helmuth Schönauer

Ausgedünnte Anstalt Gerasdorf

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Gefängnisse sind nicht gerade ein Thema, das jemanden interessiert.

Im Gegenteil, Gefängnisse sind raffinierte Einrichtungen, in denen die Menschen für eine gewisse Weile von der Gesellschaft ferngehalten werden wie die Schrödinger-Katze in der Blackbox.

Wir wissen also üblicherweise von einem Gefängnis nicht, wer aller einsitzt, wer davon noch am Leben ist, oder gar, wer wieder herauskommen soll.

Was uns alle in Staunen versetzt ist die Tatsache, dass immer genug Gefängnisse für genug Leute da sind.

Da verurteilen vermutlich die Gerichte punktgenau, damit es zu keinem Stau oder Unterbelag in den Anstalten kommt.

In jüngster Zeit ließ freilich eine Meldung aufhorchen, dass man die Jugend-Justizanstalt Gerasdorf in NÖ vielleicht neu ausrichten, wenn nicht gar auflassen könnte.

Anlass für diese Überlegung ist die Pensionierung der JA-Direktorin.

Wie das? Hat man die Haftanstalt in den letzten Jahren nur deshalb in der niederösterreichischen Pampas aufrechterhalten, damit die Frau Hofrätin einen Arbeitsplatz hat?

Nein nein, heißt es gleich, es haben sich nur die Bedingungen geändert, unter denen man heutzutage eine Spezialeinrichtung für Jugendliche installieren muss.

Die Anstalt gilt als eine der erfolgreichsten in der EU, hier können Jugendliche nämlich Schulabschlüsse nachholen, zu Fachkräften heranreifen und psychisch gesunden, so dass sie fast alle resozialisiert werden können.

Hoffnungslose Fälle schickt man kaum noch in die Wunderanstalt, weshalb diese jetzt unter-belegt ist und vor dem Aus steht.

Außerdem hat sich das Personalwesen geändert. Während man früher täglich ganze Busse von Justizpersonal, Pädagoginnen und Psychologinnen von Wien aus in die soziale Wüste am Steinernen Feld geschickt hat, kommt es heute günstiger, die Einsitzenden täglich in die Stadt zu transferieren, wo sie ihrer psychischen und physischen Betreuung nachgehen können.

Es stellt sich also die Frage, ob man diese Art des Strafvollzugs nicht überhaupt auflassen soll, weil man ja alle mit der Fußfessel ausstatten könnte, statt sie hinter Pseudo-Gitter zu sperren.

Entsprechende Untersuchungen über die Wünsche der jugendlichen Gefangenen haben ergeben, dass sie nach Möglichkeit lieber unter echten erwachsenen Gefangenen in Wien sitzen, als unter Milchgesichtern in Gerasdorf.

Außerdem dürfen die Jugendlichen aus Jugendschutzgründen in Gerasdorf nicht rauchen, während sie in einem Wiener Gefängnis alles bekommen, was das rauchende Herz begehrt.

Schon gibt es Ideen, den Kreis der Kundschaft zu erweitern, indem man etwa Unter-Vierzehnjährige für strafmündig erklärt, wenn sie für ihre frechen Straftaten die Straffreiheit einkalkulieren. 

Die Realität hilft oft der Zukunft auf die Sprünge. Von den 122 Plätzen in Gerasdorf sind momentan nur mehr 60 belegt.

Wenn die Frau Hofrat demnächst in Pension geht, wird sie vermutlich das erleben, was uns Pensionisten allen schon passiert ist: Kaum waren wir aus der Arbeitswelt draußen, ist diese auch schon zusammengebrochen.

STICHPUNKT 23|23, geschrieben am 14.03.2023

Geboren 1953. Ist seit Gerichtsverfahren 1987 gerichtlich anerkannter Schriftsteller, bis 2018 als Bibliothekar an der ULB Tirol. Als Konzept-Schriftsteller hält er sich an die These: Ein guter Autor kennt jeden Leser persönlich.

Etwa 50 Bücher, u.a.:
* BIP | Buch in Pension | Fünf Bände (2020-2024)
* Anmache. Abmache. Geschehnisse aus dem Öffi-Milieu. (2023)
* Austrian Beat 2. [Hg. Schneitter, Schönauer, Pointl] (2023)
* Verhunzungen und Warnungen. | Geschichten, entblätterte Geschichten, verwurstete Geschichten. (2022)
* Outlet | Shortstorys zum Überleben (2021)
* Antriebsloser Frachter vor Norwegen | Austrian Beat (2021)
* Tagebuch eines Bibliothekars | Sechs Bände (2016-2019)

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