(c) Helmuth Schönauer

Das + ist ein +!

6 Minuten Lesedauer

– Sind die „Kommunisten plus“ gefährlich?
– Ja, aber nur für die ÖVP.

Seit den Auszuckungen ihrer Wahlkurven nach oben hin geraten die Kommunisten wieder in den Fokus mancher Anfragen.

– Sag einmal, wer sind die österreichischen Kommunisten eigentlich? Und hast du mit ihnen schon was historisch Tolles erlebt?

Als Rentner ist man geschmeichelt bei so einer Anfrage, denn man hat nicht mehr zu träumen gewagt, dass sich jemand nach Erlebnissen mit Kommunisten erkundigen würde.

Ich habe genau drei Erlebnisse mit den Kommunisten, und alle drei hatte ich schon im Archiv abgelegt und vergessen, ehe ich jetzt immer wieder danach gefragt werde.

1. Gymnasium

Kurz vor der Matura im sogenannten Proleten-Gymnasium in der Reichenau nahm mich ein Sitznachbar mit zur Erste-Mai-Feier der Kommunisten, bei denen sein Vater ein hohes Tier war.
Wir schauten uns im Festsaal der Arbeiterkammer im obersten Stock einen Film an, der die Kanalisation Leningrads zeigte. Der russische Kommentar verfehlte nicht seine Wirkung: Ich prägte mir die Bilder von gestauter und fließender Scheiße in diversen Becken innig ein und hatte bald einen Erkennungsvorteil gegenüber den Klassenkollegen, als wir beim Schulausflug unsere erbärmliche Kläranlage in der Rossau anschauten.

Ich war neben dem Kommunistischen Sitznachbarn der einzige, der eine Kläranlage Stegreif in der damals noch unverbauten Flusslandschaft erkennen konnte.

Am Ersten Mai freilich nahm ich die Erinnerungsplakette, die ich als Festbesucher angesteckt bekommen hatte, beim Eintritt in unsere Wohnanlage wieder ab. Denn die ganze Anlage bestand aus Kriegsheimkehrern, die mit den Roten (wie sie alles jenseits der ÖVP nannten) in der sibirischen Gefangenschaft schlechte Erfahrungen gemacht hatten.

2. Provinz-Uni

Nach dem Besuch des Proleten-Gymnasiums inskribierte ich an der heimischen Provinz-Uni etwas Unauffälliges wie Germanistik. Diese war damals in Deutschland schon entnazifiziert, und ihr leninistischer Ausleger schwappte allmählich auf die Uni Innsbruck über, wenn auch nur in homöopathischen Dosen.
Unter den Germanisten gab es eine kleine Vorarlberger Kommunisten-Zelle, die für ihre wöchentlichen Abspaltungen berüchtigt war.

Ganz Österreich wurde damals vom längst-dienenden Führer der kommunistischen Welt, einem gewissen Muhri zusammengehalten. Dieser „Murli“, wie er liebevoll genannt wurde, musste jedes Wochenende von Wien aus ins Ländle reisen, um dort ein paar Kommunisten auszuschließen, die im Laufe der Woche von der reinen Lehre abgefallen waren.

Nach dem Ausschluss, der meist an einem Samstag stattfand, fuhr der Arbeiterführer noch schnell nach Innsbruck zurück, wo er sich sicher fühlte. 

Denn ein Ausschlussverfahren bringt immer Unruhe mit sich. Zudem gab es damals noch keine Railjets, sodass viele, die eigentlich in den nächstbesten Zug gesetzt gehörten, auf den diversen Perrons herumstanden und fallweise eine Schlägerei ausführten.

Bei diesen Ausschluss-Verfahren kam mir der Murli erschöpft vor. Die Ermüdung kann aber auch auf sein Studium der Lohnverrechnung im zweiten Bildungsweg zurückzuführen sein. Denn schon damals sagte man uns: Die Bildung tut nicht weh, während sie geschieht, aber hinterher führt sie zur Erschöpfung.

3. In der kapitalistischer Wartezone

Schon lange war es um die Kommunisten still geworden, als anlässlich der Wende in Deutschland das Gerücht auftauchte, die KPÖ hätte riesige Gelder in der DDR liegen, die es heimzuholen gälte.
Aus diesem Grund sollten möglichst viele der KP beitreten, um den Druck auf die Kapitalisten zu erhöhen, die sich „unser österreichisches Vermögen“ unter den deutschen Nagel gerissen hatten.
Während wir noch mit der Unterschrift für eine Mitgliedschaft zögerten, ging unter den Kernfunktionären freilich bereits die Angst um, später das Geld teilen zu müssen. Deshalb wickelte die Verwalterin des legendären Fonds, eine gewisse „rote Fini“, die finalen Geschäfte allein ab. Weder die Partei noch potentielle Aspiranten bekamen je eine Münze aus jenem Schatz zu sehen, der längst der kapitalistischen Treuhand zugeschanzt worden war.

Vielen, die jetzt damit liebäugeln, mit der KP-plus in Verbindung zu treten, sind von meinen drei Erlebnissen enttäuscht.

Einerseits sind sie nichtssagend harmlos, wiewohl ich oft das Wort Proletarier in meinen Lebenslauf einzubauen versuche, andererseits sind die historischen Ereignisse wie so oft wertlos, wenn es um eine Entscheidung im Präsens geht.

Diesen Unentschlossenen rufe ich einen Vergleich zu: Vor meiner Haustüre ist der Merkur über Nacht zu einem Billa plus geworden! Außer dem Schild hat sich nichts geändert, was ich auf die kapitalistische Grundordnung unserer Gesellschaft zurückführe.

In der Politik bedeutet das, dass aus der Einheitspartei ÖVP sich durch Wording eine KP-plus abgespalten hat.

Das Plus ist als ironisches Zugewinn zu sehen.

Der Salzburger Wahlgewinner von KP-plus sagt dann auch ganz unverblümt (er ist gelernter Archivar wie ich): Es kommt auf das Plus drauf an! Was vorne steht, ist – wie immer bei zusammengesetzten Wörtern – Wurst.

STICHPUNKT 23|43, geschrieben am 8.5. 2023

Geboren 1953. Ist seit Gerichtsverfahren 1987 gerichtlich anerkannter Schriftsteller, bis 2018 als Bibliothekar an der ULB Tirol. Als Konzept-Schriftsteller hält er sich an die These: Ein guter Autor kennt jeden Leser persönlich.

Etwa 50 Bücher, u.a.:
* BIP | Buch in Pension | Fünf Bände (2020-2024)
* Anmache. Abmache. Geschehnisse aus dem Öffi-Milieu. (2023)
* Austrian Beat 2. [Hg. Schneitter, Schönauer, Pointl] (2023)
* Verhunzungen und Warnungen. | Geschichten, entblätterte Geschichten, verwurstete Geschichten. (2022)
* Outlet | Shortstorys zum Überleben (2021)
* Antriebsloser Frachter vor Norwegen | Austrian Beat (2021)
* Tagebuch eines Bibliothekars | Sechs Bände (2016-2019)

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.