Das Interessante an Fernsehnachrichten ist nicht das Vordergründige, das uns ein Kommentator sowieso lang und breit erklärt, sondern der Hintergrund der Geschehnisse.
Es lohnt sich, die Gesichter der weiter hinten Stehenden – zufälliger Zuschauer oder bestellter Statisten — zu betrachten, während im Vordergrund – meist nach Regieanweisung von oben — schreiende Aufregung herrscht oder eine Verbrennung irgendwelcher Gegenstände zelebriert oder gar herumgeschossen wird. (Wer lieferte die Fahnen, Bücher, Porträtbilder? Ließ man Journalisten wirklich an die vorderste Frontlinie mitkommen?) Manchmal erkennt man im Hintergrund Neugierige, die von Fenstern aus — gleich wie wir am Bildschirm — das befremdliche Spektakel und die herumwuselnden Filmcrews, die wir als Fern-Seh-Zuschauer nur erahnen können, verfolgen..
Aufschlussreich ist auch immer die Architektur, die für Auftritte gewählt und manchmal ungewollt als Kulisse entlarvt wird. Etwa die wahnwitzige Geisterburg, in welcher ein früherer amerikanischer Präsident haust, von deren mediokrem Inneren, das dem äußeren Kitsch & Pomp Hohn spricht, man bei den Aufnahmen der gelagerten Geheimdokumente einen guten Eindruck bekam – die perfekte Innenansicht der Persönlichkeit des Eigentümers.
Besonders interessant aber fand ich kürzlich einen Medienauftritt des russischen Präsidenten anlässlich des Absturzes von Prigoschin und Co: Auf dem ansonsten völlig leeren Schreibtisch hinter ihm stand eine Dose voller akribisch gespitzter Buntstifte. Wofür, in Gottes Namen, braucht ein Politiker, der die Weltherrschaft anstrebt, ein Set Buntstifte? Die standen so perfekt arrangiert da, das war kein Zufall. Welche Botschaft sollten sie dem auf die Interpretation des Hintergründigen geschulten russischen Volk vermitteln? Die Erklärung professioneller Kreml-Exegeten steht bislang aus. Doch als einzig sichtbare Utensilien am Schreibtisch müssen die Stifte ganz einfach eine zentrale Rolle in Putins Selbstdarstellung spielen!
Sollen sie etwa besagen, dass der Präsident ein kindlich reines Gemüt besitzt? Dass er an seinem Arbeitstisch, statt Dekrete zu unterzeichnen, lieber Ausmalbücher anfärbelt und somit für keine ihm zugeschriebene Gräueltat verantwortlich ist? Oder ist er ganz real tagtäglich ausschließlich damit beschäftigt, die Geschichtsbücher umzufärben, sodass stets ein Satz frisch gespitzter Buntstifte bereitstehen muss? Ich bin jedenfalls schon neugierig auf die Bilder von seiner nächsten Presskonferenz, was uns da an Hintergründigem geboten werden wird.
Versäumen Sie deshalb niemals die Fernsehnachrichten. Sie bieten, entgegen landläufiger Meinung, doch immer wieder echten Enthüllungsjournalismus.