„Oni Wytars“ in Innsbruck: Die (Un)möglichkeit einer Konzertkritik

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Nein, das wird kein klassischer Konzertbericht. Ganz einfach schon einmal deshalb, weil ich nicht mehr an die Wirksamkeit und Relevanz dieses Formates glaube. Ein Konzertbericht ist in den allermeisten Fällen ein Bericht für Leute, die entweder selbst bei dem Konzert waren oder eh „bekehrt“ sind und die Art der besprochenen Musik ohnehin schon schätzen. Das macht das Wesen dieser Art von Berichterstattung deutlich: Sie ist entweder „Hofberichterstattung“, weil jemandem ein Gefallen getan werden soll. Oder sie ist auch die Möglichkeit, den eigenen und den Geschmack von ein paar anderen Leuten zu legitimieren und abzustützen.
Ich musste es kürzlich von dem Herausgeber einer Musikzeitschrift so klipp und klar hören, dass es immer noch schmerzt – weil damit die Mechanismen der Kulturkritik so deutlich und schonungslos offen gelegt werden. Ich musste mir mitanhören, dass das Redaktions-Team letztlich eine Art von „politischer community“ sei. So weit so gut. So weit so vertretbar, zumal es ja jedem Herausgeber selbst überlassen ist, welche Leute mit welcher politischen Einstellung er um sich schart.
Bezeichnend dabei ist aber, dass seitenlangen Berichten über Festivals von Freunden der Vorzug gegenüber anderen Berichten gegeben wird, die einem anderen, vielleicht fremdartigen, vielleicht innovativen oder was weiß ich welchem Kontext entstammen. Es ist deutlich: Der eigene Freundeskreis, die eigene Szene, der eigene Geschmack hat immer Vorrang. Störungen und Irritationen sind nur bis zu einem gewissen Grad zulässig und werden, falls sie zu stark werden, einfach ausgemerzt.
Die Versuchung läge also nahe, es Leuten recht zu machen. Sich zu vernetzen. Dinge gut zu finden, die man eigentlich gar nicht gut findet. Und außerdem: Was ist das eigentlich überhaupt, diese eigene Meinung? Will die überhaupt irgendjemand lesen oder ist es nur die Meinung einer Person, die bestimmte Kränkungen von gewissen Personen erfahren hat, während sie von anderen Wohlwollen, Zuvorkommen und Freundlichkeit erfahren hat?
Für mich ist es deutlich: Der wunde Punkt und der blinde Fleck in der Kulturkritik ist die Person welche den Text schreibt, die sich zugleich zwar als subjektiv rezipierendes und perzipierendes Subjekt in den Text einschreibt, dabei aber nicht oder nur sehr unzureichend offen legt, wie sie zu dem Subjekt geworden ist, das sie nunmehr im Moment der Rezeption ist.

Das Ensemble "Oni Wytars". Ganz links: Marco Ambrosini (Bild: Innsbrucker Abendmusik)
Das Ensemble „Oni Wytars“. Ganz links: Marco Ambrosini (Bild: Innsbrucker Abendmusik)

Objektivität: Eine Illusion. Subjektivität: Eine Falle?
Objektivität ist dabei natürlich eine Chimäre. Das Zauberwort hieße aber unter Umständen Unvoreingenommenheit. Offenheit. Radikaler Selbstzweifel und radikales In-Frage-Stellen der eigenen Position und des eigenen Geschmacks. Kulturelle und intellektuelle Heimatlosigkeit. Die Fähigkeit, zugleich mit Musik aus der Renaissance umzugehen wie auch mit den neusten Entwicklungen im Black-Metal. Jetzt mal so als Hausnummer genommen und ohne dabei die musikalische Bandbreite der letzten 600 Jahre darstellen zu wollen.
Was möchte ich damit sagen und was hat das alles bitte sehr mit dem Konzert von „Oni Wytars“ zu tun, das am 20.02. im Rahmen der Innsbrucker Abendmusik im „Vierundeinzig“ stattfand? Vielleicht möchte ich sagen, dass mich der Musiker Marco Ambrosini seit einigen Monaten fasziniert hat und ich mich überaus gefreut habe seinen Namen im Programm der „Innsbrucker Abendmusik“ wiederzufinden. Und natürlich auch, dass die Schlüsselfidel ein Instrument ist, das ich bis vor wenigen Monaten gar nicht kannte und das dann sowohl aus diesem Grund als auch aufgrund der klanglichen Beschaffenheit meine Aufmerksamkeit fesselte und mein genaues Hinhören einforderte.
Die "Schlüsselfidel", die mich seit einiger Zeit ungemein fasziniert...
Die „Schlüsselfidel“, die mich seit einiger Zeit ungemein fasziniert…

Ich könnte außerdem schreiben, dass das Konzert gelungen war, vor allem aufgrund der perfekten Symbiose zwischen tänzerisch leichten und leicht nachvollziehbaren und komplexen, feingliedrigen und melancholischen Stücken. Ich könnte schreiben, dass ich das Gespräch mit Marco Ambrosini nach dem Konzert genossen habe und dass er ein überaus netter, zugänglicher und geselliger Mensch ist, der mit Manfred Eicher auf du und du ist. Aber was würde das aussagen?
Ich möchte auch zugleich schon mein Misstrauen meiner eigenen Wahrnehmung gegenüber ausdrücken. Ich möchte mich selbst in Frage stellen. Ich möchte offen legen, dass ich sowohl Peter Waldner als auch die Besitzer des Vierundeinzig sehr mag und diese mir bisher sehr freundschaftlich und zuvorkommend begegnet sind.
Es ist zweifellos so, dass diese Tatsache meine Wahrnehmung beeinflusst und dass ich zugleich Konzerte in der P.M.K. aufgrund einiger persönlicher Ungereimtheiten mit einem vermutlich kritischeren Auge betrachte. Ich weiß das, entkomme aber diesen Mechanismen nicht immer. Aber beginnt ein interessanter Konzertbericht nicht erst dann, wenn diese Mechanismen zumindest offen gelegt oder vielleicht sogar suspendiert werden?
Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich noch nicht so weit bin. Ich kann nur meine ideale, angestrebte Rezeptionsweise offen legen: Ich nehme hier und da etwas mit, das mich musikalisch berührt und weiterbringt. Die Schlüsselfidel von Marco Ambrosini war ein solches Ereignis. Das Konzert im Gesamten war zwar sehr gut, schaffte es für mich aber nicht, ein solches Ereignis zu sein. Von diesem Abend bleibt die Erinnerung an nette Gespräche, zuvorkommende und freundliche Menschen, die es mir ermöglichen, über solche Konzerte zu schreiben. Dafür bin ich dankbar. Länger anhalten wird aber für mich der Klang der Schlüsselfidel von Marco Ambrosini.
Damit eröffnet sich mir eine Rezeptionsweise, die ich insgesamt anstrebe. Kritik wo Kritik notwendig ist, ein unbarmherziger, schonungsloser und doch respektvoller Blick auf die Musik an sich. Soweit das möglich ist.

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

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