(c) Helmuth Schönauer

Mineralnyje wody – Tiroler Orte sind im Tourismus für alles bereit

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Orte können es sich nicht aussuchen, in welcher Welt sie ihren Glanz entfalten dürfen.
So ist der Bahnknotenpunkt „Milneralnyje wody“ beim Bau der Nordkaukasischen Eisenbahn entstanden. Eine Mineralwasserquelle hat der späteren Stadt (deutsch Mineralwässer) den Namen gespendet.

Ähnlich kreativ ging man in der Ukraine mit der Bergwerksiedlung „Antrazyt“ um, die in den 1930ern zu einem Bahnknoten und Handelszentrum ausgebaut wurde.

Kennzeichen für beide Siedlungen ist die Tatsache, dass man nach der Hauptbeschäftigung ihrer Bevölkerung den Namen gewählt hat.

Für die Polit-Funktionäre der Sowjetunion hatte das den Vorteil, dass man anhand des Ortsnamens gleich die richtige Seite im Fünfjahresplan auffinden konnte.

Etwas zynisch überspitzt wäre das so, wie wenn man alle Orte in Tirol mit dem Zusatzwort „Touri“ versehen würde, damit man sie leichter im „Touristischen Tagblatt“ (TT) finden könnte. In diesem Polit-Organ der Tiroler werden täglich die Fortschritte beim Fünfjahres-Nächtigungsplan veröffentlicht.

Mittlerweile sind die Orte im Grenzgebiet zwischen Russland und der Ukraine aus den prosperierenden Wirtschaftsnachrichten verschwunden und zu Orten des Krieges geworden.

Tatsächlich reüssieren Orte nur dann in der Geschichtsschreibung, wenn entweder
a) ein Religionsgründer darin aufgetreten ist, 
b) eine Schlacht stattgefunden hat oder 
c) eine starke Bettenzahl angelegt werden konnte.

Die Tiroler Ortsnamen gehen daher meist auf 
a) Heilige, 
b) Hofer (Schlacht) oder 
c) Hotels zurück.

Alle drei Komponenten füttern den poetischen Glanz, der den Tiroler Orten innewohnt, wenn sie auf Booking-Plattformen abgerufen werden.

Orte, die in Tirol spielen, sind jedenfalls schon vom Namen her schön und romantisch, wie sie sonst vielleicht nur Übersetzungen aus einer pazifischen Sprache im Honolulu-Stil evozieren.

Oder eben aus dem Russischen. 

Wir alle erinnern uns, wie plötzlich die Tirol-Prospekte ins Russische übersetzt worden sind, die Oligarchen Tal-weise die Hotels aufgekauft haben, die Dirndl-Frauen an den Rezeptionen alle russisch gelernt haben und der gute Felix jedes Jahr eine Russen-Saga schreiben wollte.

Putins Überfall auf die Ukraine hat diese Touri-Träume alle zerstört.

In den Prospekt-Depots liegen noch Entwürfe, wie man die einzelnen Destinationen auf dem russischen Markt ins Spiel bringen wollte.

Kleine Auswahl an Tiroler Destinationen für den Russischen Markt:‘
Bildungsoffensive – Stift Stams – Nastupleniye obrazovaniya
Schwesternburg – Zams – Shvesternburg
Wasserbad – Wörgl – Vodyanaya Banya
Schi Fluch – Ischgl – Shi proklyatiye
Keksfabrik – Heinfels – Biskvitnaya fabrika
Silberstadt – Schwaz – Serebryanyy gorod
Kupferhüttenwerk – Brixlegg – Medeplavil’nyy zavod
Hammer Ski – Fulpmes – Lyzhi Hammer
Singende Schürzen – Zillertal – Poyushchiye fartuki
Engstelle – Sillian – Uzkoye mesto
Dosierampel – Achenkirch – Doziruyushchiy svet
Kettenfahrzeug – Hintertux – Wesdechod

Mögen diese Projekte bald Frieden und Tourismus bringen!

STICHPUNKT 24|73, geschrieben am 17.09. 2024

Geboren 1953. Ist seit Gerichtsverfahren 1987 gerichtlich anerkannter Schriftsteller, bis 2018 als Bibliothekar an der ULB Tirol. Als Konzept-Schriftsteller hält er sich an die These: Ein guter Autor kennt jeden Leser persönlich.

Etwa 50 Bücher, u.a.:
* BIP | Buch in Pension | Fünf Bände (2020-2024)
* Anmache. Abmache. Geschehnisse aus dem Öffi-Milieu. (2023)
* Austrian Beat 2. [Hg. Schneitter, Schönauer, Pointl] (2023)
* Verhunzungen und Warnungen. | Geschichten, entblätterte Geschichten, verwurstete Geschichten. (2022)
* Outlet | Shortstorys zum Überleben (2021)
* Antriebsloser Frachter vor Norwegen | Austrian Beat (2021)
* Tagebuch eines Bibliothekars | Sechs Bände (2016-2019)

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