Innsbruck ist weltweit gesehen die Stadt mit den größten Attraktionen.
Im Hochgeschwindigkeits-Tourismus geht es nicht darum, eine Sehenswürdigkeit zu promoten und ins Netz zu stellen, der dynamische Tourismus fordert vielmehr ständig neue Attraktionen.
Innsbruck steht im Ruf, beinahe stündlich neue Attraktionen auszurufen und sie wie in einer Schütte ständig neu anzubieten.
Für Anfänger wird das Goldene Dachl promotet, für Advanced Touristen beispielsweise die Pflasterung vor dem Dachl, und für Profis die einheitlich gestalteten Frittenbuden, die auf eine sagenhafte Aktion der ehemaligen Bürgermeisterin zurückgehen. Diese hat seinerzeit zu ihrem Amtsantritt das gesamte Kultur-Jahresbudget für den Ankauf von Weihnachtsstandln sowie Hirten-Janker und Engelshaar zum Christkindleinzug verplant.
Und tatsächlich bringt der Christkindlumzug die Stadt Jahr für Jahr in adventliche Wallung.
Aber selbst beim besten Planungswillen kommt das Getue um das Goldene Dachl an seine Wahrnehmungsgrenzen, wenn es schon einmal gesehen worden ist.
Habts nichts Neues, was wie das Goldene Dachl ausschaut aber keines ist? – Haben wir.
Knüller für diesen Advent ist eine Fahrt mit der sogenannten Waldbahn. Diese sammelt zuerst unter der Linienbezeichnung „6“ im ganzen Stadtgebiet desorientierte Touristen ein und karrt sie anschließend über Stift Wilten durch den Wald zum Stift B. in Igls.
Dieses Stift, das eigentlich eine Stiftung eines Bankrotteurs ist, und deshalb zu diesem verwunschenen Namen gekommen ist, ist immer öfter in den Fernsehnachrichten zu sehen als wunderschöner Ansitz, bei dem die Videoüberwachung geschmackvoll in die Gartenanlage integriert ist.
Die Touristen strolchen also entlang des gut ausgeschilderten Weges von der Endstation der Waldbahn zum Stift B., versuchen dort einen Blick auf den Bankrotteur zu erhaschen und müssen sich mit einem Selfie begnügen, das durchaus in der Folge Anlass für eine Erpressung sein kann.
Angeblich soll jeder ins Bodenlose fallen, der mit dem Stift B. oder der Person B. auf einem Foto zu sehen ist.
Die wenigsten sind sich bewusst, in welcher Karriere-Gefahr sie schweben, wenn sie so unbekümmert am Gelände vor der Stiftung unterwegs sind.
Auf der Rückfahrt ist das Publikum wie nach jeder sogenannten Attraktion ziemlich enttäuscht. Diese Trivialität des Ausflugs hätte auch das Goldene Dachl meistern können, auch wenn man es schon gesehen hat.
Ein paar versprengte Sex-Touristen sind sehr verärgert, dass die „Sechser“ nichts anderes zu bieten hat als Wald und Selfie mit einem Stiftungsgebäude.
Auf der Rückfahrt wird daher das Stift Wilten auch von Gottlosen gewürdigt, immerhin hat es so etwas wie architektonischen Charakter.
STICHPUNKT 24|92, geschrieben am 20.11.2024