Windpartei

4. Feber 2025
1 Minute Lesezeit
(c) Helmuth Schönauer

Wenn es die alten Parteien nicht mehr bringen, muss man eben neue gründen.
Zu diesem Zweck wird die Stimmung im Wahlvolk regelmäßig abgetestet.

Aktuell wünschen sich knapp hundert Prozent der Befragten eine sogenannte „Windpartei“.
Diese Partei hat im Diskussions-Talon kein Parteiprogramm, sondern eine Windfahne, die täglich neu aufgezogen wird.

Dadurch erspart sie sich selbst und den Wählern das unangenehme Gefühl, umgefallen zu sein.

Die Windpartei befriedigt alle politischen Strömungen, die sich von den bisherigen Parteien nichts mehr erwarten und nur noch aus „Brauch“ zur Wahl gehen.

Da die Windpartei alphabetisch ganz unten steht, solange nicht eine Zipfelpartei kandidiert, lässt sich auch ohne Brille leicht das Loch auf dem Wahlzettel treffen, das man ankreuzen will.

Sinnträumer, Wortklauber und Begriffsdesigner weisen übrigens darauf hin, dass das D im Wort Wind immer noch als Abkürzung für Demokratie gedeutet werden kann.

Pragmatiker kontern, dass oft schon bei der Anmeldung Buchstaben verloren gehen, sodass wir es mit einer WIN-Partei zu tun hätten. – Klingt aber auch gut.

Die Kandidierenden rekrutieren sich aus allen bisherigen Parteien, sodass alle Windströmungen regelmäßig zum Zug kommen. Man muss sich diese Truppe als ramponierte Fußballmannschaft vorstellen, die am liebsten auf der Ersatzbank sitzt und schaut, wie die Spielenden am Feld untergehen.

In so einer Truppe gibt es übrigens keine Rücktritte, sondern nur Untergänge.
Da die Windpartei nur für die Wähler da ist und keinesfalls für die Funktionäre, zumindest am Papier, hat jeder Wähler schon gewonnen, der irgendwas am Papier angekreuzt hat.

Die Windpartei verhilft schließlich dem Staat wieder zu seiner Identität, indem dieser sich vollkommen aus der Politik zurückzieht.

Regiert wird dieser Staat dankenswerterweise von jenen Gruppen, die ihn schon bisher vereinnahmt haben, den Anlegern, Nationalisten, Klerikalen und Erben.

Auch diese sind eingeladen, künftig die Windpartei zu wählen, weil es ja eh Wurst ist. Denn der Wind weht, wo er will.

STICHPUNKT 25|10, geschrieben am 28.01.2025

Geboren 1953. Ist seit Gerichtsverfahren 1987 gerichtlich anerkannter Schriftsteller, bis 2018 als Bibliothekar an der ULB Tirol. Als Konzept-Schriftsteller hält er sich an die These: Ein guter Autor kennt jeden Leser persönlich.

Etwa 50 Bücher, u.a.:
* BIP | Buch in Pension | Fünf Bände (2020-2024)
* Anmache. Abmache. Geschehnisse aus dem Öffi-Milieu. (2023)
* Austrian Beat 2. [Hg. Schneitter, Schönauer, Pointl] (2023)
* Verhunzungen und Warnungen. | Geschichten, entblätterte Geschichten, verwurstete Geschichten. (2022)
* Outlet | Shortstorys zum Überleben (2021)
* Antriebsloser Frachter vor Norwegen | Austrian Beat (2021)
* Tagebuch eines Bibliothekars | Sechs Bände (2016-2019)

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