21:20. Wir verlassen das Konzert. Die Lautstärke macht vor allem mir zu schaffen. Ich bin schließlich keine 20 mehr. Mit einem Bier lehne ich in der Ecke. Ich denke mit Wehmut daran zurück, dass ich heute „Room“ von Nels Cline und Julian Lage gehört habe. Zerfall. Zusammenfinden. Sich-in-Frage-stellen. Immer wieder zu schönen Melodien hin streben. Ganz leise tastend, suchend, nicht drängend.
Von drinnen klingt, immer noch, viel zu laut Musik, die vermutlich hymnisch sein möchte. Die Musik stört mich bei meinem Versuch, mir die Harmonien von Julian Lage ins Gedächtnis zu rufen. Der Sänger schmettert etwas wie „We can´t take it anymore“ ins bereits leicht euphorisierte Publikum. Eigentlich meint er aber nicht sich, sondern spricht mich damit direkt an. Ich ertrage es nicht mehr, flüchte noch weiter nach oben in den Turm. Das Bier ist mittlerweile bereits leer. Ich hole mir noch eines, obwohl es Zipfer-Bier ist. In der Not frisst der Teufel Fliegen heißt es so schön. Ich trinke noch ein Bier.
Zum Glück treffe ich Norbert Pleifer. Ein wenig genervt erzähle ich ihm, dass mir die Musik zu laut ist. Ich sei ja auch keine 30 mehr. Außerdem finde ich kein Argument, warum ausgerechnet diese Musik so laut sein müsse. Zu meiner Begleitung sage ich wenige später, dass ich den Grund der Lautstärke in einem Verfahren des „Aufblasens“ vermute. Diese Musik wolle halt mächtig sein, weil zwei Leute spielerisch gut sind, aber keine wirklichen Songs auf die Reihe brächten.
Besser wäre es, das spielerische Vermögen der beiden wäre um ein paar Ecken schlechter, dafür aber würde diesen Songs dieser grauenvolle hymnische Charakter ausgetrieben. Ich erinnere mich daran zurück, wie der Sänger der Band „The Wind Cries Mary“ von Jimi Hendrix gespielt hat. Mit Feingefühl, Zurückhaltung und Würde. Von all dem war an diesem Abend wenig zu merken.
Mother´s Cake und ihr „Mini-Festival“: Euphorie in Hülle und Fülle!
Mag aber sein, dass es Teil des Konzeptes hinter dem Mini-Festival war, das Mother´s Cake hier ins Leben gerufen hatte. Von wegen so: Eure Musik muss an diesem Abend euphorisieren, mitreißen, hymnisch sein. Feine Zwischentöne bitte eher nicht. Die Bude muss rocken und wir wollen endlich wieder mal Leute bei einem Konzert im Treibhaus Stage-Diven sehen.
Norbert Pleifer hatte jedenfalls Einsehen mit uns und ein paar anderen vor der Lautstärke flüchtenden Menschen. Er öffnete den zweiten Stock im Turm. Von den Rängen aus konnten wir mittlerweile der Band „DeWolff“ lauschen. Eh interessante Band. Junge Burschen, die klangen, als wären sie schon ganz alt. Oder zumindest in der falschen Zeit geboren. Retro rocks! Den Leuten gefiel es. Auch ich mochte es. Zumindest gab es wieder Gitarren-Soli, die ja in Indie-Mainstream-Kreisen noch immer verpönt waren. Wer mehr als drei Akkorde schrammelt und sich dazu auch noch anmaßt sein Instrument zu beherrschen ist eh schon der Anti-Christ und wird in Zukunft mit Yngwie Malmsteem in der Hölle schmoren.
Obwohl DeWolff in Sachen Originalität keinen Blumentopf gewinnen würden war ich dennoch froh hier zu sein. Immerhin besser als bei Wanda im Weekender, die am gleichen Abend ebendort gastierten. Wenn mich wieder ein Hammond-Orgel-Solo nervte sagte ich mir leise vor: „Es könnte auch schlimmer sein.“ Rock n Roll schien jedenfalls wieder in zu sein.
Man durfte auch schon mit Mitte 20 einen langen Bart haben und Hammond-Orgel spielen. Man durfte wieder wie eine Mischung aus Jack White und Robert Plant laut herumkreischen und man durfte wieder ausgiebig die Gitarre würgen. Dieser Musik wäre es wohl auch erlaubt gewesen, textlich einige Schweinereien zu thematisieren. Das ist Musik, in der die Rolle von Männlein und Weiblein fein säuberlich definiert ist und die Frau als Lustobjekt durchaus noch eine wichtige Rolle spielt.
Ohne jetzt spekulieren zu wollen, aber die Band schien nach dem Konzert im Gespräch mit einigen recht attraktiven Damen zu sein. Die Musik verfehlte also ihre Wirkung nicht. Gute Musik, mit Kraft und Euphorie vorgetragen und auch noch gut gespielt. Über die Gründe, warum junge Menschen solche Musik spielen kann ich dennoch eigentlich nur rätseln. Unter Umständen ist es aber die hier angedeutete Wirkung.
Diese Musik euphorisiert und enthemmt. Kann ja nun wirklich kein Fehler sein. Für mich ist das aber eher nichts. Ich habe Frau und Kinder. Ich blieb während des Konzertes mit meinem Bier regungslos sitzen, während Frauen unten und ringsherum sich zunehmend euphorisiert zu bewegen begannen.
Wenig später dann also Mother´s Cake. Sehr lange Umbaupause. Meine Begleitung wurde langsam unruhig und ließ sich zu Wortspielen hinreißen. Naheliegend, Cake mit einem tirolerischen „Kacke“ zu vertauschen. Die Band zeigte sich unbeeindruckt von unserer Funktion, die am ehesten der von Statler und Waldorf in der Muppet Show glich. Sie stimmten ihre Gitarren weiter, klopften penetrant auf ihre Drums und ließen sich gemütlich Zeit. Zeit für uns noch ein Bier zu holen.
Als ich von der Bar mit zwei Plastikbechern Bier zurückkam hatte die Band endlich zu spielen begonnen. Im Vergleich mit „DeWolff“ wirkte ihre Bühnenshow dilettantisch. Ganz so, als ob sich eine Band von irgendeinem Band-Wettbewerb gerade als vermeintlicher Headliner auf die Bühne verirrt hätte. Die Musik war zum Glück besser und eignete sich offenbar hervorragend dazu, das Euphorie-Level noch einmal zu erhöhen. Moshpits bildeten sich, später gab es sogar Menschen, die sich im Stage-Diving versuchten.
Immer mal wieder wehte ein leichter Hauch von schönen selbstgedrehten „Zigaretten“ zu uns herüber, die in Österreich noch immer nicht ganz legal sind. Drunten zogen erste Menschen ihre T-Shirts aus. Schweiß und noch mehr Euphorie. In meinem Alter blieb mir aber nicht viel mehr übrig als zuzusehen. Mich auf die Musik zu konzentrieren. Die Band hat Spaß, Spielfreude, technisches Können. Dennoch blieb die Musik für mich seltsam auf Distanz. Sie berührte mich nicht. Ich nahm noch einen Schluck von meinem Bier und begann nachzudenken. Die Musik wird leiser, meine Gedanken deutlicher, lauter und klarer.
Wenig später habe ich das Konzert verlassen. Bin nach Hause geflüchtet und habe mir eine Aufnahme von Chris Thile aufgelegt. Seine Bach-Sonaten, die sind es für mich immer noch. Sie berühren mich wie sonst kaum etwas. Ich war alt geworden, aber nicht weise. Früher wäre ich vom gestrigen Abend begeistert gewesen. Heute habe ich die Gewissheit: Der gestrige Abend ist nur etwas für junge oder junggebliebene Menschen gewesen. Nichts für mich. Ich legte mich schlafen und hatte noch die Mandolinen-Melodie von Chris Thile aus dem Track „Big Top“ im Ohr. So ließ es sich friedlich einschlummern. Mit der Gewissheit alt geworden zu sein. Ein herrliches Gefühl.
Mother´s Cake im Treibhaus: Darum ist der gestrige Abend nur etwas für junge Menschen gewesen
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Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.
Also wenn man von einem für sich zu lauten Konzert flüchtet, um Chris Thile zu hören, ist man schon sehr weise!:)
Mothers Cake ist wohl die weitaus beste Tiroler Band in diesem Genre. Mit einer unglaublichen Musikalität und wenn man das nicht hört sollte man wirklich lieber zu hause bleiben und keine unsinnigen Kritiken schreiben in denen es nur darum geht wieviel und welches Bier man getrunken hat.